Mein Weg zum Glücklichsein beginnt mit meiner Entscheidung 

3. Juli 2019

Auf der Suche nach dem Glück, oder was...?


Die Idee: Eine universelle Frage stellen, auf die man von möglichst vielen Menschen jeden Alters aus den verschiedensten Kulturen beantwortet haben möchte.

Der Grund: Neugier auf die Menschen und ihre Gedanken.

Die Umsetzung: Vielleicht als Familienprojekt. 

Der Start: Am liebsten gleich sofort!

Meine Kursleiterkollegin Christine (eine Engländerin) findet meine Idee interessant. "Aber", meint sie vorsichtig, "Vielleicht sollte deine Frage nicht allzu persönlich sein. Ich stelle mir vor, ich bin am Bahnhof, und jemand sagt: 'Entschuldigung, ich habe eine Frage.' -'Ja, bitte?' sage ich, weil ich damit rechne, dass ich ihm jetzt vielleicht den Weg zur Post erklären muss, aber dann kommt's knüppelhart, zum Beispiel so: 'Können Sie mit sagen, was Sie inspiriert?' Da möchte ich dann vielleicht nicht so gerne Auskunft geben..."

Christine hat recht: Nicht alle Menschen tragen ihr Herz auf der Zunge. Das sollte man respektieren. Aber sie hat auch wieder nicht recht: Manche würden sich vielleicht ganz gerne äussern. Es wäre schade, wenn nicht gehört würde, was sie zu sagen haben.

Lukas und Mirjam sind schnell überzeugt. Und die universelle Frage haben sie ohne lange Überlegungen gefunden. Ich bin begeistert. Die Frage soll nämlich lauten: Was macht dich glücklich? Auch Nicola ist sofort für unser Projekt zu gewinnen. Dabei habe ich eigentlich mit mehr Überzeugungsarbeit gerechnet. Es bleiben noch Fabio und Laura, die im Moment noch gar nicht wissen, dass sie wahrscheinlich bald an einem Familienprojekt teilnehmen werden...

Ja, jetzt bin ich schon ziemlich glücklich und könnte eigentlich schon als erste der befragten Personen eine Antwort liefern: Mich macht glücklich, dass meine Idee auf offene Ohren stösst und dass meine Familie gern daran mitarbeiten möchte.

Bei uns stehen die Sommerferien vor der Tür. Lukas und ich möchten einen Monat in den Walliser Bergen verbringen. Eine Welt, in der vermutlich unzählige Varianten des Glücks existieren. Nicola wird nach seinem zweiten Zivildiensteinsatz in Pfarrer Siebers Sunne-Eggä bald zwei Monate lang durch Westafrika reisen und sich dort ebenfalls auf die Suche nach dem Glück der Menschen begeben können. Oder vielleicht sogar früher, eventuell hätten auch die Suchtpatienten, mit denen er täglich arbeitet, einen Beitrag zum Thema Glück beizusteuern?

Lassen wir uns überraschen. Ich bin gespannt, was sich in nächster Zeit auf diesen Seiten ereignen wird.


12. Juli 2019

Was macht denn eigentlich mich glücklich?

Bevor ich mich nun bald auf meine Reise zu den Glücklichen dieser Welt begebe, ist es vielleicht sinnvoll, mir zu meiner eigenen Situation Gedanken zu machen.

Zuerst wäre da die Frage, ob glücklich sein dasselbe bedeutet, wie zufrieden sein? Ist es möglich, glücklich zu sein, ohne sich zuvor zufrieden gefühlt zu haben? Ist vielleicht die Zufriedenheit eine Vorstufe des Glücks? Zufrieden sein, berührt in erster Linie den Verstand. Man kennt das schon: "Ja, es geht mir gut, ich kann zufrieden sein." Kein schlechtes Gefühl. Zufriedenheit ist prima. Sie verhilft zu Genügsamkeit, zu Bescheidenheit und verleiht eine angenehme Ruhe und Ausgeglichenheit. Sich glücklich fühlen, das ist anders. Das schimmert warm und golden und strahlt bis tief ins Herz hinein.

Was macht mich also glücklich? Sind es ganz bestimmte Menschen? Dinge? Situationen? Ja, natürlich. Zu Beispiel sind es meine Liebsten. Oder der Vogel, der im Garten singt. Mit meinem Mann nächtelang über Gott und die Welt diskutieren. Eine Umarmung. Eine Arbeit, die mir ganz besonders gut gelungen ist. Das Lachen eines Kindes draussen. Wenn es nach einem heissen Tag nach Regen duftet. Ein Kuss. Eine Berührung. Meine Katzen. Das Lächeln eines unbekannten Menschen im anonymen Gedränge. Der Überraschungsbesuch von einem meiner Kinder. Wenn jemand in meinem Unterricht Fortschritte macht. So vieles macht mich glücklich. Manches ist gross und manches scheint ganz unwichtig und klein. Manches springt mir unverhofft und fast schmerzhaft direkt mitten ins Herz hinein und manches übersehe ich im ersten Moment beinahe, weil es so winzig ist. Könnte es sein, dass es ganz einfach das pralle Leben ist, das mich glücklich macht?

Vielleicht bin ich auch einfach oft glücklich, weil ich glücklich sein möchte und keine Gelegenheit dazu auslassen will. Deswegen halte ich alle meine Sinne offen, um nicht das kleinste Fitzelchen davon zu verpassen. Und deswegen... deswegen finde ich auch fast immer einen Grund um glücklich zu sein. Es gibt ja weiss Gott auch genügend Anlässe für Ärger. Aber das... Das ist ein anderes Kapitel. Eines, das nicht glücklich macht und deshalb wirklich nicht in diesen Blog gehört.


19. Juli 2019

Die Frage ist ziemlich schwierig

...und aus dem Stegreif ist sie wirklich nicht so einfach zu beantworten. "Was macht dich glücklich?" - Und meine Lehrerkollegin Christine hatte natürlich doch recht mit ihrem Einwand, dass sich manche Menschen vielleicht durch so eine private Frage brüskiert fühlen könnten. Oder auf jeden Fall an ihre Grenzen gebracht. So richtig mutig für Antworten ist nach unserem ersten Interview niemand mehr. Lukas und ich kommen zum Schluss, dass man die Frage ein bisschen umformulieren könnte, vielleicht um ihr den Schrecken zu nehmen. Etwa so: "Wie lautet dein Rezept, um glücklich zu sein?"

Als wir das an einer ersten Person austesten, ernten wir freundliches Erstaunen bei einer leicht fragend hochgezogenen Augenbraue: "Oho! Das ist jetzt aber etwas, das ich mir noch nie so überlegt habe. Da müsste ich zuerst eine gewisse Zeit darüber nachdenken, bevor ich euch das beantworten kann." Ja klar, nur zu! Wir haben Zeit. Wir sind nun für einige Wochen hier oben in diesem wunderschönen Walliser Bergdorf auf 1200 Metern über Meer. Und wir haben keine Eile. Aber dürfen wir noch eine andere Frage stellen, wenn schon so gründlich darüber nachgedacht wird? Nämlich diese: "Ist denn zufrieden sein das gleiche wie glücklich sein?" - "Ha! Nochmals schwierig zu beantworten! Das gibt ja jetzt so einiges zu denken bis zum nächsten Mal..." - "Kein Problem, einfach in aller Ruhe überlegen. Wir fragen in ein paar Tagen nochmals nach." - "Na ja. Ich könnte ja auch noch meine Mutter fragen. Die ist 93 und hat da vielleicht noch eine andere spannende Sichtweise auf das Thema." -"Das wäre toll! Sehr gerne!" - "Und überhaupt," es folgt ein schelmisches Lächeln, "Ganz bestimmt findet ihr hier oben auf eure Fragen nicht die gleichen Antworten wie vielleicht im Unterland. Wir ticken anders. Wir haben eine andere Kultur."

Wir sind schon wieder gespannt. Welche Rezepte zum Glücklichsein werden wir wohl hier an diesem wunderbaren Flecken erfahren? Was werden wir von diesen Menschen lernen?



31. Juli 2019

Glücks-Rezepte

Ich berichte im Familienrat von unseren Schwierigkeiten mit der Fragestellung nach dem Glücklichsein. Diese werden wohl dadurch verursacht, dass bei den Schweizern sofort Alarmstimmung herrscht, wenn es zu persönlich wird. Ausserdem sind meine Landsleute wahrscheinlich zu perfektionistisch orientiert: Sobald wir von unserem Projekt erzählen, dass wir ein Buch schreiben zum Thema "Was ist Dein persönliches Glücksrezept?",schnappen die Leute nach Luft. Es wird sich sofort nach den Bedingungen erkundigt: "Muss man denn da einen Fragebogen ausfüllen? Ich kann mich nämlich schriftlich nicht so gut ausdrücken, weisst du? Ach so, nur eine mündliche Befragung? Kommt denn das am Ende auch korrekt rüber? Ein Porträtfoto gibt es auch noch dazu? Oh, nein! Lieber nicht! Bin eigentlich nicht so fotogen für eine Abbildung in einem Buch!" 

Ja, meine liebe Christine! Du hast die Sache von Anfang an richtig eingeschätzt. Als Engländerin kannst Du Dich wirklich optimal in die Schweizer Seele hineinversetzen. Diesbezüglich ticken die Engländer und die Schweizer genau gleich!

Im Familienrat beschliessen wir, die Sache fortan lockerer anzugehen. Keine Informationen mehr streuen über ein Buchprojekt. Einfach nur munter überall drauflos fragen: "Was tust Du, damit Du glücklich sein kannst?" Ich stelle eine entsprechende Frage als Status in die sozialen Medien mit der Bitte um eine kurze Nachricht zum Thema. Die ersten Antworten kommen schon bald. Zum Beispiel diese: "Ich wasche unsere Kleider." Ich bin einigermassen verwirrt und komme ins Grübeln. Kleider waschen ist aus meiner Sicht eigentlich kein Glücksgenerator. Lukas kann dies aber sofort nachvollziehen: Sauberkeit ist schön. Und eine einfache Arbeit, die sofort zu einem Glanzresultat führt, ist toll. Ja, das stimmt natürlich. Meine entsprechende Rückfrage wird dann auch genau in der Richtung von Lukas' Interpretation bestätigt.

Jemand erklärt, um glücklich zu sein, nütze es, wenn man ans Meer fahre. "Ja aber",  wende ich ein, "man kann doch nicht dauernd ans Meer fahren, um glücklich zu sein. Nicht jeder verfügt dafür über genügend Zeit und Budget." Da kommt die Antwort mit dem Bild einer hübschen Schnecke. "Solche Begegnungen machen glücklich auf dem Weg ans Meer." Das stimmt. Vielleicht braucht man nicht unbedingt den Weg ans Meer dazu, Schnecken begegnen uns ja überall, vorausgesetzt es ist nicht allzu sonnig und heiss. Sich an der Natur erfreuen, das ist tatsächlich eine gute Möglichkeit, um glücklich zu sein.

"Mit Menschen - vor allem mit freundlichen und interessanten - in Verbindung zu sein: Das macht mich glücklich. Dazu gehört auch Ihr zwei, Lukas und Silvia." Wow! Das ist aber eine nette Rückmeldung! Vielen Dank für die Blumen. Menschen können tatsächlich glücklich machen. Vor allem, wenn man sich mit ihnen verbunden fühlt.

Ja, soviel haben wir bis jetzt gelernt: Saubere Wäsche, der Weg ans Meer, Schnecken und Menschen sorgen dafür, dass wir glücklich sind. Das ist eigentlich gar nicht so schwierig.



31. Juli 2019

Und was meint eigentlich unsere Familie dazu?

Fabio (27) zum Beispiel sagt dazu schmunzelnd: "Ich habe grundsätzlich eine positive Erwartenshaltung. Und wenn etwas positiv herauskommt, dann bestärkt mich das in meiner Haltung. Das Negative interessiert mich einfach nicht."

Nicola (24): Sein Rezept zum Glücklichsein geht so: "Ich habe kein Interesse daran, mein Leben zu verplanen, sondern ich schaffe mir bewusst überall Freiräume, in denen ich meinen ganz persönlichen Interessen und Zielen nachgehen kann. Übrigens müssen diese Ziele keineswegs konventionell sein (Geld, Erfolg, Karriere usw.). Einzig und allein für ehrliche, persönliche Freude müssen sie sorgen. Wichtig ist mir auch, mich in trägen Situationen zu Aktivität überwinden und die faulen Ausreden des inneren Schweinehundes zur Trägheit nicht gelten zu lassen. Früher war er sehr stark, mein innerer Schweinehund. Heute habe ich ihn komplett abgestellt. Man muss etwas tun für sein Glück; also man sollte es stets suchen, aber man kann es immer und überall finden. Zum Beispiel, wenn man draussen die vielen Insekten in den Blumen beobachtet, dann hat man es schon. Man braucht es jetzt nur noch bewusst zu geniessen. Meinen Fokus richte ich übrigens stets auf das Positive. Sollte ich mal Pech haben, lasse ich das bewusst nicht in meinen üblichen Fokus einfliessen, sondern blende es als Ausnahmefall aus."

Päng! Ich bin sprachlos: Den Fokus stets auf das Positive richten, sich für Negatives nicht interessieren, das Pech als Ausnahmefall ausblenden und schon stecken wir mittendrin in der klassischen selbsterfüllenden Voraussage. Aktiv bleiben, für das Glück etwas tun, danach suchen und es garantiert finden... Klingt nach ganz schön viel Arbeit, aber auch nach Freude und Spass: Nach Glücklichsein eben.


4. August 2019

Zum Beispiel...

...mit Lukas durch die sommerliche Bergnacht laufen und nach den Lichtpunkten der Glühwürmchen suchen. Die Luft ist zum Bersten gefüllt mit dem Zirpen der Grillen. Am pechschwarzen Himmel glänzt die Sichel des Mondes, geschmückt mit zwei zarten Wolkenstreifen, umgeben von funkelnden Sternen. Und wenn wir sie dann unverhofft irgendwo neben dem Weg so ganz entschlossen aufblinken sehen, diese kleinen, tapferen Käfer, die man gemeinhin auch Glühwürmchen nennt... und nicht nur eins, nein! Je länger man danach sucht, desto mehr kann man finden! Ja, dann ist es immer wieder erstaunlich, für welche Freude diese winzigen Lichtpunkte sorgen können. So lässt sich ganz einfach glücklich sein! Nachbars zutrauliche Katze empfängt uns am Ende in lautstarken Begeisterungsstürmen vor unserem Haus. Sie scheint sich sowieso grundsätzlich glücklich zu fühlen, Glühwürmchen hin oder her.


5. August 2019

Oder...

...sich gemeinsam bergauf kämpfen, beladen mit schwerem Rucksack, der Puls in den Ohren wummernd. Durchhalten bis nach oben zu einem der grandiosesten Flecken dieser Erde: Dorthin, wo man sich jedes Mal als das Nichtigste im ganzen Universum fühlt; an diesen Ort, wo die eigene Existenz in einem Sekundenbruchteil ausgelöscht wäre, wenn es der Himmel so wollte. Und dann dort ankommen, wo der Blick keinen Halt mehr findet, weil der Talgrund sich ganz weit unten im blauen Dunst auflöst. Sich hier einrichten und sich von der Fernsicht den Atem nehmen lassen. Dem Lauf der Sonne folgen, bis sie sich irgendwann hinter die nächste Bergkette zurückzieht und dann augenblicklich der eisige Hauch der Nacht um die Ecke fegt. Die letzten Berggipfel im goldenen Sonnenlicht glänzen und die dunklen Schatten bedrohlich wachsen sehen. Später im Dunkeln frierend im Zelt liegen und der totalen Stille lauschen. Sich noch kleiner fühlen als zuvor am Tag. Hoffen, dass das Wetter hält. Dass sich kein Gewitter hierher verirrt und dass das Donnern in der Ferne nur ein kleiner Steinschlag ist. Die Nacht zerteilen in Phasen des leichten und des tiefen Schlafs. Lauschen auf die Atemzüge des anderen und auf den Wind, der im Wechsel auffrischt und wieder vergeht, so als ob auch die Berge ringsum atmen würden. Irgendwann erwachen, weil alles plötzlich in hellgelb getaucht ist: Die Sonne umarmt mit ihren ersten Strahlen geradewegs das Zelt. Ihre Wärme im selben Augenblick fühlen. Aus dem Zelt taumeln. In die Sonne blinzeln und dem Himmel für den neuen Tag danken.

Auch so geht glücklich sein.



5. August 2019

Das, was ich nicht habe, macht...

...mich manchmal glücklicher als das, was ich habe. Aber meistens realisiere ich das erst, nachdem ich zu lange irgendwelchen Dingen nachgeträumt habe, die ich gerne haben möchte.

Der Mensch ist ja bekanntlich ein "Optimierungs-Tier". Kaum hat er etwas erreicht, möchte er mehr davon und natürlich vor allem das noch Bessere. Wir haben wohl alle mehr oder weniger diese Eigenschaft. Die machte auch Sinn, als wir alle noch um das nackte Überleben kämpften. Aber heute in unserer zivilisierten Welt des Wohlstands könnten wir eigentlich getrost auf die allermeisten unserer Optimierungen verzichten. Trotzdem meinen wir, dass wir ganz dringend immer mehr und immer Besseres, Schöneres, Grösseres von jeglichem haben müssen. Und wir meinen, dass wir so sicher auch glücklicher werden. Mag sein, dass mich das neuste Handy, die teuerste Wohnungseinrichtung, die modischsten Kleider vorübergehend sogar glücklich machen. Aber wie wir ja alle wissen, ist solches Glück nie von langer Dauer. Wir wollen ja stets das Optimum; somit sind sowohl das Handy als auch die neuste Mode oder die Wohnungseinrichtung irgendwann veraltet und es gelüstet uns nach Optimierung... So drehen wir uns ständig im gleichen Hamsterrad.

Wie war das eben? Glücklich sein über das, was ich nicht habe?

Ja, sicher! Ich habe nämlich keine Sorgen, wo ich die nächste Nacht schlafen werde und was ich meinen Kindern morgen zu Essen geben soll. Ich habe keine Angst, dass meine Liebsten bei Erkrankungen keine medizinische Hilfe erhalten und deshalb ums Leben kommen. Ich fürchte mich nicht davor, dass man mich auf der Strasse sterben lässt, wenn ich einmal zu alt bin, um selber für meinen Lebensunterhalt zu sorgen. Ich ängstige mich nicht davor, draussen unterwegs zu sein, da unser Land sicher genug ist. In unserer Familie gibt es keine schwerwiegenden Probleme und auch keine kleinen. Ich muss nicht ständig Medikamente schlucken und ich bin nicht auf den Rollstuhl angewiesen. Normalerweise leide ich nicht unter Schmerzen und wenn, dann kann ich sie gut aushalten. Es quälen mich weder chronische Schlaflosigkeit noch Depressionen. Es gibt bei uns weder Bombenhagel noch Willkür und Folter. Kein Krankenhaus muss auf die modernsten medizinischen Geräte und Hilfsmittel verzichten. Stromausfälle sind in unserem Umfeld nicht die Regel und ich muss nicht täglich stundenlang durch die sengende Sonne laufen, um Wasser für meine Familie heranzuschleppen... Man könnte diese Liste beliebig verlängern und damit Seite um Seite füllen.

Und man lernt dabei eines: Die Dinge, die man meint, unbedingt haben zu müssen sind einfach nur unwichtiger Kram. Sich aber immer wieder bewusst zu machen, was man Gott sei Dank alles nicht hat, das macht glücklich... wenn man will.


6. August 2019

Bin ich jetzt nicht zynisch, wenn...

...ich einfach behaupte, glücklich sein ist ganz einfach, wenn man gewisse Dinge nicht hat? Immerhin hat der Grossteil der Menschheit keine Möglichkeit, solch ein sorgenfreies Leben zu leben, wie es hier in unserer Welt üblich ist. Bin ich nicht sogar ziemlich arrogant gegenüber denjenigen unter uns, die durch grosse Sorgen belastet sind?

Ich würde sagen: Ja, sehr sogar,...

...wenn man meine Aussage aus dem Kontext reisst. Und wenn mein Leben - das jetzt immerhin mehr als ein halbes Jahrhundert lang währt - frei von Ängsten, Problemen und Sorgen gewesen wäre. Aber das ist eben nicht so. Zum Glück gab es Momente in meinem Leben, in denen ich nicht mehr weiterwusste, in denen ich keinen Sinn mehr sah, in denen ich - als Kind - sogar ernsthaft darüber nachgedacht habe, es zu beenden oder in denen ich dachte, das war's jetzt.

Damit wir uns richtig verstehen: Ich möchte hier nicht Probleme und Sorgen kleinreden. Es gibt um uns herum mehr als genug wirklich Schwerwiegendes. Menschen, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden, tragen eine grosse Last. Und glücklich sein ist in diesem Moment wirklich keine Option für sie. Doch trotzdem ist es möglich, sich sozusagen am eigenen Zopf aus dem Sumpf der Hoffnungslosigkeit zu ziehen, indem man in seiner belastenden Situation Dinge sucht, die man Gott sei Dank nicht hat. Es hat mir stets ungemein geholfen, den Fokus darauf zu richten. Manchmal braucht man dazu vielleicht auch jemanden, der einem hilft, den Blick zu schärfen. Ich finde, ich hatte grosses Glück, dass in meinem Leben auch schwierige Momente gegeben hat. Ich möchte keinen davon missen, auch wenn er noch so schmerzhaft war. Denn schon allein die Tätigkeit, mich selbst am eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen - mit oder ohne Hilfe - hat am Ende ebenfalls bewirkt, dass ich wieder glücklich war.


7. August 2019

Jedes fühlende Wesen wünscht sich...

... glücklich zu sein. Das ist es, was uns alle miteinander verbindet. Was uns unterscheidet ist unsere Suche nach dem Weg in diesen Zustand.

Das hat mir vor Jahren eine Buddhistin erklärt und ihre Aussage beschäftigt mich immer noch sehr. Ich beobachte seither täglich und überall jedes fühlende Wesen sehr genau, und stelle immer wieder fest, dass meine buddhistische Freundin recht hatte. Manche finden für ihren Weg zum Glücklichsein rasch eine gute Richtung, andere befinden sich lebenslang auf einem grossen Irrweg. Aber im Grundsatz haben wir fühlenden Wesen (Mensch und Tier) wohl tatsächlich alle wirklich das gleiche Ziel: Glücklich zu sein. Und so probieren wir die verschiedensten Dinge aus und glauben oft, dass wir schon ganz nahe am Ziel sind, auch wenn wir uns vielleicht trotzdem irren. Irgendwann haben wir gelernt, dass es weder die materiellen Dinge sind, die uns wirklich nachhaltig glücklich machen, und auch nicht Macht, Karriere oder gar Gewalt. Wir wissen auch bald, dass wir nicht glücklich werden, wenn uns Gier, Neid oder Eifersucht in die Quere kommen. Aber es gibt wohl bei uns allen Lebensphasen, wo wir alle kräftig in diesen Richtungen herumexperimentieren. Jeder hat sein eigenes Rezept. Viele Rezepte sind am Ende zielführend. Manche nicht. Aber das muss jeder für sich selbst herausfinden.

Ich habe mich dafür entschieden, dass ich überall auf meinem Weg glücklich sein kann, wenn ich einfach mit offenen Augen und offenem Geist wandere und das sehen will, was mich glücklich macht. Das gelingt mir natürlich nicht immer. Aber Übung macht den Meister; es funktioniert tatsächlich immer besser und besser.

Bitte sag mir: Wie denkst Du darüber?


8. August 2019

Der letzte Blog war jetzt aber...

... doch reichlich naiv, oder? Was ist denn mit all diesen Gewalttätern der heutigen Zeit? Deren oberstes Ziel ist es doch, andere Menschen ins Unglück zu stürzen und ganz sicher nicht, dass sie selber glücklich sind!

Ganz sicher nicht? Und was, wenn sich Gewalttäter einfach nur auf einem falschen Weg befinden? Mag sein, dass sie ihre Befriedigung aus dem Unglück ihrer Mitmenschen ziehen. Letztendlich versuchen sie dadurch aber wohl trotzdem, selber glücklich zu sein. Und sie bleiben genau durch ihren Wunsch nach dem Glücklichsein trotzdem mit allen fühlenden Wesen verbunden. Leider irren sie sich schrecklich in ihrem Weg zum Glück, denn mit Aggression und Gewalt werden sie niemals an ihr Ziel gelangen. Und möglicherweise werden sie ihren Irrtum nie erkennen vor lauter Blindheit.

Vielleicht aber doch. Und hoffentlich ist es dann nicht zu spät. Für jemand, der viel Leid verursacht hat, und der plötzlich die Tragweite seiner Taten erkennt, für den wird vielleicht seine restliche Lebenszeit nicht mehr ausreichen, um zum eigenen Glück zu finden. Zu erschüttert wird er sich fühlen. Und seine Verbundenheit mit allen fühlenden Wesen wird wahrscheinlich sogar noch tiefer.

Wir sollten das nicht vergessen.


8. August 2019

Vielleicht ist einer der einfachsten Wege...

...um glücklich zu sein, die kleinen Dinge im Leben zu schätzen und sich die Zeit zu nehmen, sie ganz bewusst zu geniessen. Wer schon einmal die Hingabe einer Katze beobachtet hat, mit der sie sich auf einen wohligen Moment in ihrer unmittelbaren Gegenwart konzentriert, der weiss ganz genau, was ich meine.

Wir alle sind meistens derart getrieben von innerer Unruhe, Terminen und Verpflichtungen aller Art, dass wir meinen, uns gerade jetzt unmöglich Zeit für den Genuss der kleinen Dinge nehmen zu können, und wir verschieben es auf später. Dabei realisieren wir nicht, dass aufgeschoben leider meistens auch aufgehoben bedeutet. Eigentlich sollten wir uns den Luxus gönnen, einen Augenblick innezuhalten, um zu geniessen. Es kostet nicht so viel Zeit, den Regenbogen einige Sekunden länger zu betrachten und sich daran zu erfreuen oder kurz stehenzubleiben, um an der vorwitzigen Blüte am Wegrand zu schnuppern. Haben wir nämlich der Hektik unseres Alltags den ganzen Tag über solche kostbaren Sekunden des Genusses entrissen, dann fühlen wir uns abends gesättigt mit Glücksmomenten, selbst wenn unser Tag eigentlich nicht ganz optimal gelaufen ist.

Ich nenne diese «gestohlenen» Sekunden meine «kleinen Inseln des Glücks» und ich liebe es, auf meinen Wegen danach zu suchen und möglichst viele zu sammeln.

Und Lukas sagt: Der Schlüssel zu mehr Genuss ist, dass man ein bisschen Tempo aus seinen Aktivitäten herausnimmt. Sobald man langsamer ist, kann man die Dinge besser geniessen.


9. August 2019

Manchmal duldet es gar keinen Aufschub, und...

...man muss sämtliche Aktivitäten sofort unterbrechen und Arme und Herz weit öffnen um sie in Empfang zu nehmen, die Gelegenheit zum Glücklichsein. Denn oft kommt sie völlig unverhofft daher spaziert. Wer sich dann nicht ohne zu zögern darauf einlässt, weil er glaubt, er könne sich fünf Minuten später darum kümmern, den enttäuscht unter Umständen das Leben.

Wir alle kennen das Bedauern über verpasste Gelegenheiten, die sich so nicht mehr bieten werden. Und wir tappen doch immer wieder aufs Neue in die Falle der Eile, des ganz-schnell-noch-kurz-erledigen-Wollens... und schwupps; vorbei - verweht - nie wieder.

Umso mehr freue ich mich, wenn ich einmal die Gelegenheit zum Glücklichsein im richtigen Moment ergriffen habe. Wenn ich mich sofort mit Haut und Haar darauf eingelassen habe. Ungeachtet der Dinge, die ich eigentlich zu erledigen gehabt hätte. Denn mein Herz ist nun so angefüllt mit Gold und Wärme, dass nur noch das zählt.


10. August 2019

Die nächste Herausforderung kommt...

...wenn wir uns darauf eingelassen haben. Wenn wir nämlich ohne zu zögern beschlossen haben, die Möglichkeit zum Glücklichsein zu ergreifen, sollten wir alle unsere Sinne so intensiv wie nur irgend möglich öffnen. Es gibt in jedem Moment immer etwas zu riechen, zu schmecken, zu fühlen, zu hören und zu sehen. Und wem es gelingt, den glücklichen Augenblick in seinem gesamten Sensorium abzuspeichern, der kann in schlechteren Zeiten darauf zurückgreifen: Wir kennen zum Beispiel alle den Duft eines Sommermorgens. Und sobald wir ihn riechen, spüren wir vielleicht sofort den kühlen Tau der Kindheitswiesen an unseren Füssen, hören die Vögel in den Bäumen singen, und sehen, wie sich die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont tasten, selbst wenn wir uns momentan in einer düsteren Situation befinden. Es ist wie ein Samenkorn. Es keimt gerade dann, wenn wir am traurigsten sind und bringt uns all die Energie zurück, die wir glaubten, verloren zu haben. Und wir wissen mit einem Mal, dass es sich lohnt, wenn wir uns wieder nach oben kämpfen, weil unzählige weitere Glücksmomente an unserem Weg auf uns warten.


11. August 2019


Die magische Zahl stammt...


...von Lukas und heisst mindestens 51. Sie funktioniert nicht mit festen Erwartungen. Gegenseitiges Vertrauen ist dafür die einzige Bedingung. Deswegen benutzt man sie am besten zusammen mit seinen Liebsten. Es ist übrigens eine Prozentangabe und das Rezept damit ist recht simpel:

Wenn sich beide Teile stillschweigend darüber einig sind - egal in welchem Bereich - stets mindestens 51% Einsatz zu geben, dann sind Enttäuschungen beinahe unmöglich. Aber glücklich werden wir fast sicher.

Ein einfaches Beispiel:

Wenn von zwei Personen jede aus ganzem Herzen bereit ist, von zwei schweren Einkaufstaschen diejenige mit mehr Gewicht zu tragen, dann sieht es so aus: Glücklich ist derjenige, der sich durchsetzen konnte. Er hat es nämlich geschafft und tatsächlich die schwerere Tasche ergattert. So konnte er den anderen entlasten. (Ja, genau: Menschen entlasten, die man liebt, das macht glücklich.) Der andere jedoch ist jetzt vielleicht zuerst ein bisschen neidisch. Immerhin wollte er ja ebenfalls etwas Gutes tun. Aber der Weg mit etwas weniger Gewicht an der Hand ist schon auch weniger beschwerlich. Und das ist schön und macht glücklich, wenn man es entsprechend geniessen will.

So tragen am Ende zwei Personen glücklich lächelnd zwei Taschen, anstatt sich gemeinsam über die Plackerei mit den schweren Einkäufen zu ärgern.

Man kann dieses Rezept problemlos in allen Situationen anwenden. Sofern beide ehrlich und aus vollstem Herzen mindestens 51% Einsatz geben möchten, funktioniert es garantiert.

Man sollte es einfach mal ausprobieren.


12. August 2019

Wenn wir den Weg versuchen, zu mögen

..., dann ist alles viel einfacher. Das ist natürlich nicht immer so gut machbar. Unser Weg führt manchmal vorbei an schrecklichen Dingen und Umständen, die wir unter auf gar keinen Fall mögen können. Und dann hassen wir den Weg. Dann begehren wir innerlich auf und möchten ihn am liebsten nicht gehen. Das ist normal und jeder kennt und versteht diese Haltung.

Aber in unserem ganz gewöhnlichen Alltag können wir es versuchen. Es gibt täglich Dinge, die wir erledigen müssen. Egal ob gerne oder nicht. Unsere Arbeit muss getan werden, selbst wenn wir dazu durch den Regen laufen müssen. Unsere Wäsche muss gewaschen sein, und vielleicht sogar gebügelt. Auf die nächste Prüfung müssen wir büffeln, wenn wir ein Ausbildungsziel erreichen wollen. Und am Augenarzt führt auch kein Weg vorbei, wenn wir eine Brille brauchen.

Ist es hilfreich, über diese Wege zu schimpfen? Ist die Arbeit dann schneller getan? Hört der Regen deswegen auf und fliegt die Wäsche deshalb von selbst sauber gebügelt in den Schrank? Wenn wir uns über den Weg beklagen, bleibt uns dann die Büffelei auf die nächste Prüfung erspart und auch eine Brille, wenn unsere Augen schlecht geworden sind?

«Nein, natürlich nicht. Aber wenn man sich ärgert, sollte man schon schimpfen dürfen, man möchte ja kein Magengeschwür bekommen.», sagen wir. Klar. Das hat was.

Und was, wenn wir uns einfach nicht auf unseren Ärger konzentrieren, sondern nur auf den Weg zum Ziel? Wenn wir auf jeden Schritt in Richtung des Ziels achten? Und wenn wir versuchen, diese einzelnen Schritte und auch diesen Weg zu mögen? Sie führen uns ja immerhin dorthin, wo wir am Ende sein wollen: Zum Feierabend, zum Ausbildungsdiplom, zum besseren Sehen. Der Ärger verbraucht viel zu viel Energie, die wir besser für den Weg zum Ziel nutzen.

Ich persönlich fahre gut mit dieser Einstellung. Und sie gelingt mir immer öfter.


13. August 2019

Sich auf den Berg hinaufkämpfen...

..., aber der Gipfel will einfach nicht näher kommen! Es wird noch Ewigkeiten dauern bis zum Ziel. Der Körper mag nicht mehr, der Kopf hat keine Lust und Wutgefühle kommen auf. Warum ist man nur losgegangen? Was bringt es eigentlich, sich stundenlang bis zuoberst auf diesen blöden Berg zu quälen, nur um von oben ins Tal hinunter zu schauen? Man könnte auch gleich unten bleiben, das wäre bequemer.

So geht es mir seit Jahrzehnten immer wieder auf unzähligen Bergtouren. Wo ich früher auf meinem ganzen Weg einen äusserst aggressiven und energieraubenden inneren Kampf gegen mich selbst führte, bin ich heute etwas gelassener geworden. Das Alter schenkt einem auch ein bisschen Ruhe, denke ich und vielleicht sogar eine kleine Portion Weisheit. Heute schaffe ich es viel besser, meinen Weg Schritt für Schritt zurückzulegen ohne mich innerlich vollzujammern. Die fixe Erwartung, das Ziel zu erreichen nützt ja auch nicht viel. Es ist mir beim Aufstieg nicht mehr wichtig, ob ich es erreichen werde. So viel Unvorhergesehenes könnte ja auch dazwischenkommen. Das Wetter könnte zum Beispiel umschlagen oder ich könnte mir den Fuss verstauchen. Und dann müsste sowieso vor dem Ziel umkehren. Der Weg ist mir heute viel wichtiger: Auf meinem Weg kann ich meine Kraft spüren und mich daran freuen, dass ich sie jetzt noch habe, denn einmal wird sie enden. Jeder Schritt gibt mir ein Geschenk, weil er mich höher hinaufträgt und mich die Welt immer wieder neu und aus anderer Perspektive sehen lässt. Und manchmal ändert sich das Ziel auch unverhofft unterwegs, weil man durch den Weg in eine andere Richtung inspiriert wurde.

Auch heute fällt es mir manchmal noch schwer, auf meinem Weg nicht an mein Ziel zu denken. Aber was ich auf meinen vielen Bergtouren gelernt habe, hilft mir im Umgang mit allen anderen Wegen in meinem Leben. Jeder Schritt führt mich doch vorbei an spannenden Menschen und interessanten Orten, zeigt mir neue Impulse und Perspektiven und macht mich stärker und stärker.

Egal ob ich auf einer Bergtour oder auf anderen Wegen wandere: Habe ich am Ende ein Ziel erreicht, dann bin ich einfach nur stolz und atemlos glücklich, weil ich es aus eigener Kraft geschafft habe und angekommen bin. Und dieses Gefühl ist einfach wunderbar und unvergleichlich. Ich möchte es immer wieder erleben und begebe mich deswegen immer wieder auf neue Wege.


14. August 2019

Alles nimmt irgendwann...

... ein Ende. Nichts in unserem Leben ist für die Ewigkeit. Damit kann man sich perfekt trösten bei unguten Dingen. Gleichzeitig sorgt diese Tatsache auch für Angst; denn all das Schöne auf unserem Weg wird ja auch irgendwann vorbei sein. Spätestens am Ende unseres Lebens. Solche Gedanken sind oft sehr belastend.

Jeder muss im Umgang mit dem Ende seinen eigenen Weg finden. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel es zu ignorieren, um sich das Glücklichsein in den guten Lebensphasen nicht zu verderben. Oder man entschliesst sich, dagegen zu kämpfen wie gegen einen unsichtbaren Feind. Wir haben wahrscheinlich alle schon beides probiert. Das Problem wird dabei allerdings nicht gelöst. Aber es ist ja auch nicht lösbar: Wir können es nicht ändern! Alles wird irgendwann enden, es ist nur eine Frage der Zeit.

Mich hat das lange sehr traurig gemacht. Ich konnte die guten Zeiten in meinem Leben gar nicht mehr richtig geniessen, weil da immer dieser Gedanke ans Ende war, den ich verzweifelt versuchte zu stoppen. Bis ich dann irgendwann beschlossen habe, das Ende als Freund zu akzeptieren. Seither versüsst es mir meinen Weg. Natürlich freue ich mich sowieso, weil es mir kräftig dabei hilft, das Ungute in meinem Leben zu beenden. Aber es sorgt auch dafür, dass so viel Schönes in meinem Leben einen ganz besonderen leuchtenden Glanz bekommt. Ich weiss zwar oft nicht, wann vielleicht etwas Schönes enden wird. Und doch hat das Ende für mich seinen Schrecken verloren. Ich geniesse das Schöne, das ich im Moment habe. Selbst wenn sein Ende vielleicht eine Sekunde später kommt. Plötzlich erkenne ich, dass ich den ganzen Tag über unzähligen kleinen, schönen Dingen begegne. Sie alle enden früher oder später. Aber jetzt sind sie da! Sie alle sind unendlich kostbar geworden, seit das Ende mein Freund ist.

15. August 2019

Ich bin dankbar, wenn ich mal wieder...

...Kopfschmerzen habe. Denn ich bin ja eigentlich mit Gesundheit gesegnet, und genau dann realisiere ich, dass Schmerzfreiheit keine Selbstverständlichkeit ist. Oder wenn mir der Kaffee im Schrank versehentlich ausgegangen ist, wenn die Spülmaschine nicht mehr funktioniert, wenn ich mein Portemonnaie zu Hause vergessen habe... Wenn also wieder einmal etwas nicht so ist wie sonst in meinem sorglosen Leben, dann erkenne ich plötzlich, dass ich eigentlich vom Leben gar nichts für mich erwarten dürfte. Und gleichzeitig schäme ich mich ein bisschen, dass ich einfach alle Gute achtlos als Normalzustand hingenommen habe. Dabei ist allerkleinste Annehmlichkeit ein Geschenk, das ich vielleicht nicht einmal verdient habe.

Wenn ich also mal wieder Kopfschmerzen habe, dann freue ich mich auf den nächsten oder übernächsten Tag, an dem ich mit klarem Kopf aufwache, so als ob nichts gewesen wäre. Und dann nehme ich mir eine Zeitlang wieder vor, nichts für mich vom Leben zu erwarten und die vielen Kleinigkeiten mehr zu schätzen.


16. August 2019

Ach, wenn ich doch nur...

... hätte, dann wäre alles besser! Leider ist es nicht möglich, die Zeit zurückzudrehen und alles anders zu machen.

Eines Tages habe ich mir vorgenommen, dass für mich genau dieses Jammern keine Option mehr ist. Denn das stiehlt mir zu viel Energie. Die brauche ich aber, um im jetzigen Augenblick alles so zu machen, wie ich es für richtig halte. Aber wenn ich dann später trotzdem wieder alles anders gemacht hätte? Dann gilt trotzdem: Vorbei ist vorbei. Ich kann nur genau im jetzigen Moment meine Karten wieder neu ordnen und ausspielen.

Der grösste Fehler ist für mich, wenn ich meine Kraft verschwende, weil ich ständig nach hinten blicke, nur um mit früheren Fehlentscheidungen zu hadern. Ich blockiere lieber meinen Hader. Falsche Entscheidungen treffe ich natürlich immer noch regelmässig. Aber das Glücklichsein erhält mehr Platz in meinem Innern, wenn ich meinen Fokus nicht aufs Jammern, sondern aufs Ausspielen der neuen Karten richte.


17. August 2019

Rätselhaft ist sie...

..., die Zeit. Im Nu ist sie vergangen, wenn unsere Kinder plötzlich flügge werden. Und zäh wie fliesst sie dahin, wenn wir auf etwas Ersehntes warten müssen. Dabei ist doch unsere gesamte Welt in dieselbe Masseinheit unterteilt: Sekunden, Minuten, Tage, Wochen, Monate und Jahre.

Schon oft habe ich darüber nachgedacht, woran es wohl liegt, dass die Zeit manchmal fliegt und manchmal fast stehenbleibt. Man könnte die Gründe dafür sicher irgendwo nachlesen. Aber eigentlich ist mir das egal. Mir ist es viel wichtiger, die Sache ein bisschen zu drehen. Meine Ferien sollen nicht einfach in rasender Geschwindigkeit verfliegen. Und warten ist auch nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung.

Die Zeit kann ich nicht ändern; der Lauf der Sonne und des Mondes, die Rotation der Erde sind Kräfte, gegen die ich - zum Glück - machtlos bin. Die Zeit steuert unser Leben. Mal mehr, mal weniger. Aber meine Gefühle gegenüber der Zeit kann ich selber steuern. Ich kann also den Umgang mit meiner Zeit ändern.

Jetzt komme ich ins Grübeln. Was tue ich denn jeweils, wenn mal wieder das Warten auf die Ferien kein Ende nimmt? Genau: Ich messe andauernd, ob die Zeit auch wirklich läuft. Ich schaue besonders oft auf meine Uhr, auf den Kalender, in meine Agenda. Kein Wunder, bin ich erstaunt, dass die Wartezeit jedes Mal nicht viel weiter gekommen ist, als noch vor fünf Minuten. Die Zeit wird aber problemlos auch ohne meine Hilfe vergehen. Ich kann den Blick auf die Zeitmesser also getrost seinlassen. Und womit fülle ich denn dann meine Warterei, damit sie nicht so langweilig ist? Zum Beispiel mit anderen Gedanken. Mit Gedanken an das, was ich so sehnlichst erwarte. Man nennt es glaube ich Vorfreude. Übrigens ein tolles Gefühl! Eigentlich möchte ich jetzt gern noch viel länger warten, weil Vorfreude einfach etwas Wunderbares ist.

Diese Idee müsste doch auch umgekehrt funktionieren. Was tue ich denn in meinen Ferien? Richtig! Ich vergesse die Zeit, weil ich so beschäftigt bin mit neuen Eindrücken und Aktivitäten. Also warum nicht öfter innehalten und darüber nachdenken, was ich bis jetzt schon gemacht habe. Wie viel Zeit ich mit Schönem verbracht habe? Abends den Tag noch einmal durchdenken mit all seinen spannenden, lustigen, abenteuerlichen und vor allem erfreulichen Augenblicken. So kann ich die Zeit ausdehnen: Was eigentlich vorbei ist, ist dann doch noch nicht ganz vorbei, weil ich in Erinnerung noch ein wenig darin verweile.

Etwas verrate ich an dieser Stelle noch: Das funktioniert nicht nur beim Thema Ferien.


19. August 2019

Warum mir Zuversicht...

...so wichtig ist? Weil ich schon fast mein ganzes Leben lang sehr gut damit gefahren bin.

Wie uns allen wurde auch mir eines Tages plötzlich klar, dass es Dinge gibt, die nicht in meiner Macht liegen. Ich kann vieles beeinflussen, kann stets mein Bestes geben, kann in die Richtung steuern, in die ich möchte... und doch kann ich ganz vieles nicht kontrollieren. Irgendwann realisierte ich, dass ich mir zwar Sorgen machen darf über Dinge, die ich selbst steuern kann. Dann helfen sie mir, meine Kräfte zu mobilisieren. Sorgen über Unkontrollierbares hingegen lassen in mir zu grosse Ängste wachsen. Sie rauben mir dann zu viel Energie für Wichtigeres.

Im Grundsatz bin ich kein sehr gläubiger Mensch. Das System der christlichen Kirche hat mich schon als Kind nicht wirklich überzeugt. Religionen hingegen haben mich schon seit jeher brennend interessiert. Dass in den Weltreligionen die höheren Mächte ihren Platz haben, habe ich schon früh gelernt. Ob das nun Gott ist oder etwas anderes? Das war mir nie so wichtig. Aber der Gedanke tröstete mich schon in meiner Kindheit, dass eine höhere Macht vielleicht das Steuer in sicherer Hand hält. Und so lag es für mich auf einmal ganz glasklar auf der Hand: Es ist völlig egal, ob mir gute oder schlechte Dinge in meinem Leben geschehen. Für die Entwicklung des Grossen Ganzen ist immer alles richtig, was mir passiert. Auch wenn mir persönlich dadurch Leid und Schmerzen zugefügt werden.

Wenn ich mir nun wieder einmal Sorgen mache über Dinge, die ich nicht kontrollieren kann, dann beruhige ich mich jeweils ganz schnell wieder. Meine Zuversicht hilft mir dabei. Ich persönlich vertraue darauf, dass alles, alles seine Richtigkeit hat. Selbst wenn es für mich schwere Nachteile bringen sollte. Ich lege mein Leben in die Hände einer höheren Macht und gebe ihr vertrauensvoll alles Unkontrollierbare ab. Und dann wende ich mich dem zu, was ich selber beeinflussen kann und arbeite mit Hochdruck daran.

Auch ein Weg, um glücklich zu sein.


21. August 2019

Die Vergangenheit ändern...

...ist leider nicht möglich, das ist uns allen klar. Und doch kommen wir oft ins Grübeln, warum wir manche Dinge früher nicht anders gemacht haben. Dabei haben wir es alle schon tausendfach erlebt, dass der Ärger über die Vergangenheit schlechte Laune macht.

Bei mir brauchte es eine ganze Weile, bis ich merkte, dass ich bei meiner Grübelei in eine Negativspirale geriet: Ich war überzeugt, dass einzig und allein meine früheren Fehler die Schuld trugen an heutigen Problemen. Doch eines Tages stellte ich fest, dass es ja durchaus sein mag, dass gewisse Fehlgriffe noch bis heute nachwirken. Ich realisierte gleichzeitig, dass es mich nicht weiterbringt, wenn ich meinen Fokus auf den Ärger darüber richte. Denn solange ich in der Vergangenheit verharrte, blieb mir die Gegenwart versperrt. Und wo ein Weg versperrt ist, bleiben auch neue Chancen blockiert.

Heute denke ich so: Was passiert ist, ist passiert. Ich darf mich kurz darüber ärgern, sofern es mein Herz erleichtert. Meine Energie spende ich lieber nicht mehr dem Ärger über Vergangenes, sondern ich investiere sie in die neuen Chancen der Gegenwart. Denn nur gerade jetzt kann ich an meinem Leben arbeiten und mich bemühen, frühere Fehler nicht zu wiederholen. Und das sollte ich auch genau jetzt mit voller Kraft tun.


21. August 2019

Und noch etwas zum letzten Blog

Was geschehen ist, ist geschehen. Das bleibt meine Einstellung. Es gilt für mich genauso bei Dingen aus der Vergangenheit, die nicht durch meinen Fehler verursacht wurden. Zum Beispiel Verletzungen und Schmerzen, die man mir zufügte. Ich werde bestimmt nicht erstarren in meinem Kummer darüber. Solange ich nämlich leide und darüber weine, solange stehe ich noch immer unter der Macht jener, die mich früher gequält haben. Und diesen Gefallen tue ich ihnen sicher nicht. Da konzentriere ich mich lieber darauf, zum Licht am Horizont zu wandern. Das wärmt mich und tut mir gut. Es ist das einzige, was in dieser Sache wirklich zählt.

Auch weil es mir hilft, zu verzeihen... was am Ende auch mich wieder glücklicher macht.


22. August 2019

Das Herz rast...

... und pulsiert im Schädel, die Luft wird knapp. Schweisstropfen rinnen von der Stirn und brennen in den Augen.

Es ist so oft das Gegenteil von Wohlgefühl auf dem Weg hinauf zum Ziel. Und doch nehme ich genau das immer wieder erneut auf mich. Obwohl ich den Kampf nach oben manchmal zutiefst hasse. Aber ich liebe die Berge und ihre unfassbare Grösse und vor allem die Macht, die sie ausstrahlen: Sie machen es mir meistens nicht einfach, mein Ziel zu erreichen. Und so häufig bin ich alle paar Minuten kurz davor aufzugeben und umzukehren. Nicht, weil mir die Kraft fehlt, sondern die Lust. Warum soll ich diese verdammten Anstrengungen und Mühen auf mich nehmen? Welchen Sinn soll es haben, sich komplett durchzuschwitzen und völlig ausser Atem zu geraten? Klar: Es ist gesundheitsfördernd. Aber ich pfeife in diesem Moment darauf! Und trotzdem überwinde ich Unlust und Zweifel immer wieder von neuem und gehe weiter und weiter, weil die Berge mir mit jedem Schritt so viel Schönes, Atemberaubendes präsentieren. Ich muss einfach weitergehen, weil ich noch mehr davon sehen möchte. Und am Ende bin ich oben. Die Mühen sind vergessen. Ich bin nur noch voller Euphorie. Bin einfach unglaublich glücklich und stolz.

Was ich über die Jahrzehnte daraus gelernt habe?

Die Mühen meiner Wege lohnen sich immer und überall, nicht nur in den Bergen. Je mühevoller der Weg, desto mehr wachse ich daran und über mich selbst hinaus. Ich darf nicht ununterbrochen nur an das gesteckte Ziel denken, sondern einzig und allein an meinen nächsten Schritt. So bleiben mir Mut und Zuversicht erhalten: Den nächsten Schritt, den schaffe ich nämlich bestimmt.

Und wenn ich mein Ziel nicht erreiche?

Auch okay. Ich habe es wenigstens versucht. Unglücklicher wäre ich, wenn ich den Mut für den Weg gar nicht aufgebracht hätte.


23. August 2019

Wennn sie von ganz tief unten eiskalt aufsteigt...

...die Wut, dann ist sie kaum bezähmbar. Glücklich macht sie ohnehin nicht, und am Ende steht man oft erschüttert vor einem Scherbenhaufen. Mehr als mein halbes Leben lang habe ich dagegen gekämpft und auch heute kommt es noch vor, dass sie mich mit ungeahnter Kraft überwältigt. Es dauerte sehr lange, bis ich verstand, dass ich meiner Wut nicht das Steuer zu überlassen brauche, sondern umgekehrt: Die Quelle dazu entspringt ja in meinem Inneren. Also kann nur ich sie kanalisieren, lenken und darauf achten, dass sie nicht als wilder Fluss überall verheerende Überschwemmungen verursacht.

Schwierig ist es für mich immer noch, mich nicht von den urtümlichen Impulsen der Wut leiten zu lassen. Aber ich habe mich besser im Griff, seit ich mich jeweils frage: Was möchte ich denn eigentlich jetzt erreichen? Möchte ich gerade jemand bestrafen, um mich nachher gut zu fühlen? Oder möchte ich lieber die Situation zum Besseren verändern? Im ersten Moment neige ich natürlich sofort zur ersten Möglichkeit: Jemanden bestrafen, das klingt verlockend und verspricht Erleichterung. Aber ändert sich dadurch das Problem? Wahrscheinlich verschärft es sich eher; Wut ist ja nicht gerade ein Friedensgenerator. Und glücklich bin ich damit auch nicht so richtig. So entscheide ich mich meistens für die zweite Variante, schlucke meine Wut herunter, zähle leise bis zehn und überlege mir meinen Beitrag zu einer Verbesserungs-Strategie oder lege mindestens eine Pause ein.

Es kann aber durchaus passieren, dass ich es nicht schaffe und giftig reagiere. Das ist leider nicht sehr konstruktiv und manchmal auch ungerecht. Aber ich bin auch nur ein Mensch, der wie alle anderen sein Leben lang mit Lernen beschäftigt ist. So trainiere ich eben einfach weiter.


24. August 2019

Meine persönliche Geborgenheit und...

...meinen Trost schöpfe ich aus meiner tiefen Überzeugung, dass in unserem Universum absolut nichts verloren gehen kann. Es verwandelt sich nur. Im Lauf meines Lebens habe ich dazu mehrmals ganz deutlich erfahren, dass es neben der materiellen noch eine andere Welt gibt. Natürlich ist das kein neuer Gedanke, andere sind auch schon längst auf diese Idee gekommen. Beweisen kann man das nicht. Entweder, man glaubt daran oder eben nicht.

Das mit dem Glauben ist ohnehin so eine Sache: Ich finde ja, dass man nicht einfach so unbedarft alles glauben sollte. Selbst wenn man vielleicht grosses Vertrauen in eine Sache oder eine Person hat. Immerhin haben wir mit unserer Geburt auch ein Gehirn mitgeliefert bekommen. Wahrscheinlich funktioniert es sogar recht ordentlich. Klar, dass wir es auch benutzen sollten. Vor allem wenn es um Glaubensfragen geht: Selber nachdenken ist angesagt. Überprüfung von Glaubenssätzen kann nie schaden. Wir sind uns wohl alle einig, dass viele Kriege verhindert würden, wenn die Menschen vermehrt ihr Gehirn einsetzen würden.

Um den Text schön kurz zu halten, starte ich nun gleich beim Resultat meiner Überprüfung:

Meiner Meinung nach sind wir und das Universum eins. Vielleicht ist das Universum Gott? Und wir deswegen auch? Egal! Die Hauptsache für mich ist die Geborgenheit und der Trost, die ich daraus schöpfe. Wenn wir und das Universum eins sind, und nichts darin verloren gehen kann, dann muss ich auch nichts loslassen, weil es nichts loszulassen gibt. Anders gesagt sind alle meine Liebsten, die nicht mehr leben, immer noch da. Und diejenigen, die einfach nur weit fort sind sowieso! Sie sind im Universum. In mir. Von mir aus in Gott. Sogar ihre Materie existiert noch in irgendeiner Form.

Das macht mich glücklich, nachdem ich vielleicht mal wieder traurig gewesen bin. So einfach ist das. Punkt.


25. August 2019

Es berührt mich..

... immer seltsam intensiv, wenn ich hingebungsvollen Menschen begegne. Ob sie tanzen, singen oder voller Konzentration ein Bild erschaffen spielt keine Rolle. Der Koch, oder der Poet, der Gärtner oder der Coiffeur, vielleicht auch eine Gruppe, die sich gemeinsam für eine Sache einsetzt. Es ist die innige Leidenschaft, mit der Menschen in ihrer Tätigkeit aufgehen. Wenn ich das spüre, dann muss ich fast weinen, weil es mich so glücklich macht, und weil ich eine tiefe Verbundenheit spüre, die in diesem Moment alle Wesen gleichermassen umfasst.

Das verwirrt mich immer wieder, weil ich ja eigentlich kein religiöser Mensch bin.

Irgendwann habe ich mich aber trotzdem entschieden, dass mein intensives Gefühl wohl damit zu tun hat, dass wir alle eins sind mit dem Universum. Mit einer höheren Macht. Meinetwegen mit Gott.

26. August 2019

Und wenn wir alle eins sind...

..., dann liegt es doch auf der Hand, dass wir zusammen sehr viel bewirken können. Keiner von uns verschwendet seine Kraft ans Unmögliche, wenn er sich für eine bessere Welt einsetzt. Wir sind wie die Regentropfen im Ozean, die Schneeflocken in der Lawine oder wie die Atome im Universum. Ohne jeden einzelnen von uns wäre die Welt nicht so, wie sie ist. Wir sind so viele, die sich einfach nur von Herzen wünschen, dass die Welt ein besserer Ort wird, und die dafür ihr Bestmögliches geben.

Das sind Gedanken, die mich glücklich machen. So habe ich den Mut, ebenfalls beizutragen, was in meiner Macht steht und fühle mich getragen in der Kraft des Guten.

Danke.


27. August 2019

Den Fokus auf morgen richten...

...das war die ersten fünfundzwanzig Lebensjahre meine Devise. Der nächste Tag - so dachte ich - birgt stets die Chance, dass die Dinge noch besser laufen. Doch manchmal entwickelte sich alles nicht so schnell, wie erhofft und auch am nächsten Tag war noch alles beim Alten. Mein Kind trug zum Beispiel heute noch Windeln, und genau so war es auch am nächsten und am übernächsten Tag. So begann ich mich mehr und mehr zu ärgern, weil keiner der nächsten Tage eine Änderung brachte. Trotzdem blieb ich gefangen in meinem Fokus auf morgen. Es wäre ja doch möglich, endlich die erhoffte Besserung zu erreichen. Dass ich dabei das Heute immer mehr ausblendete, war mir nicht bewusst. Die kleinen und schönen Dinge im Zusammenleben mit meinem Kind waren nicht mehr wichtig. Nur was sich morgen vielleicht verbessern könnte, das zählte. Wahrscheinlich hätte ich diese Haltung bis heute bewahrt, wenn nicht...

Ja, wenn nicht unsere kleine Tochter krank geworden wäre. Sehr krank. Eines neuen Tages fand ich mich wieder im Gang des Kinderspitals. Auf meinem Schoss ein glühendes Kind, das sich mit wild pochendem Herz an mich schmiegte. Unsere Tochter wimmerte nicht mehr, wie noch vor einigen Stunden. Ihr Atem ging schnell und keuchend, und sonst war sie still. Ihre Augen bewegten sich immerzu unruhig hin und her hinter den geschlossenen Lidern. Die Haare klebten schweissnass an ihrer Stirn. Sie wirkte unglaublich matt und erschöpft. Ich war es auch aus lauter Sorge. Und da: In diesem Moment kam Hektik auf. Eine weisse Mannschaft aus Ärzten und Pflegern schob im Laufschritt ein Bettchen an uns vorbei. Kreidebleich klammerte sich die mitlaufende Mutter ans Bettgitter. Unter der Decke konnte man einen winzigen Körper erkennen. Alle liefen schweigend und man konnte nur das leise Quietschen der Räder hören. Ich suchte die Augen der anderen Mutter. Unsere Blicke trafen sich für Sekundenbruchteile. Das war genug, um etwas zu verstehen: Es ist das Jetzt, was zählt. Was morgen kommt, könnte auch schlechter sein.

Wie die Geschichte des anderen Kindes und seiner Mutter weitergegangen ist, das weiss ich nicht. Ich hoffe sehr, dass sich am Ende alles zum Guten gewendet hat. In unserer Geschichte ist unsere Tochter wieder gesund geworden. Sie ist dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen. Den Blick jener anderen Mutter werde ich nie wieder vergessen. Und ihren stummen Ratschlag befolge ich bis heute:

Sei zufrieden mit dem, was heute gut ist. Es ist in diesem Augenblick garantiert gut. Sehne dich nicht nach morgen, denn bis dann ist nichts mehr garantiert.



28. August 2019

Breaking News aus dem...

...Notizbuch von Nicola, der im Moment in Westafrika unter anderem zum Thema glücklich sein ermittelt:

I wish there was a united world, without borders and corrupt rulers, or at least a united Africa. So that we can complete with the rest of the world. But Senegal and Ivory Coast did not want that.

Marcus, Busua/Ghana

A lot of people in Africa can not be themselves, because they can not afford it. People should be themselves.

James, Busua/Ghana

Szene am Meer:

Ein Strandbarbesitzer in Busua sitzt in seinem Lokal. Er stellt sich als Fresh vor als wir uns zu ihm setzen und sagt: "Welcome! I'm just sitting here watching the sea every day, all day long. That's my life, you know." Ich antworte: "Sounds like a really nice life." Er strahlt: "Yeah, it is."


31. August 2019

Als ich erkannte...

...dass Eifersucht unter keinen Umständen mit echter Liebe vereinbar ist, da war ich vielleicht etwa zehn Jahre alt. Wie immer, wenn ich tief bekümmert war, hatte ich mich auf meinen Baum geflüchtet. Bei ihm fand ich Trost und Ruhe und sass oft stundenlang in seiner Krone um ungestört nachzudenken. Meine Kinderfreundin hatte sich an diesem Tag schon wieder mit einem anderen Mädchen verabredet. Enttäuschung und Wut fluteten Hirn und Herz. Es fühlte sich an wie tausend böse Stacheln in meiner Seele. Meine Gedanken waren wirr und wütend.

Es war dann wie immer das leise Rauschen der Blätter, das mich besänftigte. Es kam mir jeweils vor, als ob der Baum meine Seele streichelte und mich hin zu neuen Gedanken trug. Glasklar stand dann ganz plötzlich eine Erkenntnis vor meinen Augen: »Wenn ich meine Freundin wirklich liebe, dann erkenne ich es daran, dass ich das Beste für sie möchte. Und wenn das Beste momentan ein Nachmittag mit diesem anderen Mädchen ist, dann müsste ich dies eigentlich meiner Freundin von Herzen gönnen. Also: Wenn ich es nicht fertigbringe, ihr eine weitere Freundin zu gönnen, dann ist meine Liebe zu ihr nicht echt.»

Die Sache war erledigt. An die Stelle der Eifersucht war ganz unerwartet eine Wärme getreten, die alle durchlittenen Schmerzen überstrahlte. Ich konnte von meinem Baum hinunterklettern. Meine Gedanken waren wieder klar und ich hatte grosse Lust, den restlichen Nachmittag mit den anderen Kindern zu verbringen.

Ich fühle mich glücklich, dass ich seit jenem Tag eine wirksame Technik habe, um mit Eifersucht richtig umzugehen.


8. September 2019


Bis an mein Lebensende...


...werde ich sie nicht aus den Händen geben. Sie ist mein Motor und mein Joystick: Die Verantwortung für mein Leben. Ich werde nicht zulassen, dass mich der Ozean des Lebens mit seinen Wellen wie ein Stück Treibholz ziellos auf und ab und in stetig wechselnde Richtungen bewegt.

Dabei ist es so einfach, den Umständen die Verantwortung für sein Schicksal in die Schuhe zu schieben! Und so bequem, anderen Menschen die Schuld für alles erlittene Pech zuzuweisen. Es mag tatsächlich leichter sein, Umstände oder Menschen verantwortlich zu machen für das eigene Scheitern. Denn dann braucht man das eigene Handeln nie zu hinterfragen und muss sich nicht ändern. Ich denke aber, dass weder Hilflosigkeits- noch Ohnmachtsgefühle wirklich dabei helfen, glücklich zu sein.

Deshalb vergleiche ich meine Verantwortung für mein Leben so gerne mit einem Joystick. Joy bedeutet ja Freude. Und die habe ich, wenn ich mit meinen Händen den Joystick meines Lebens steure. Wenn ich nicht einfach die Lebensumstände irgendetwas mit mir machen lasse. Selbst wenn es oft viel Energie benötigt und ich vielleicht zwischendurch meine, am Ende meiner Kräfte angelangt zu sein. Es ist eigentlich genau wie bei meinen Bergtouren: Der Triumph, den Umständen mal wieder die Stirn geboten zu haben sorgt in mir für tiefe Zufriedenheit und deswegen auch dafür, mich meistens glücklich zu fühlen.


15. September 2019

Träume verwirklichen ist mir...

...nicht immer so wichtig. Natürlich ist es schön, wenn ein lang gehegter Traum in Erfüllung geht. Und man sollte nie aufhören zu träumen, weil es sich sehr oft wirklich lohnt, Träume in Realität umzusetzen. Manches bewahre ich mir aber auch ganz bewusst als Traum.

Es fühlt sich für mich an wie ein Garten. Viele Blumen habe ich gepflanzt. Die einen lasse ich draussen blühen. Andere pflücke ich, um sie im Haus in eine Vase zu stellen. Die Blumen im Garten erfreuen mich jedesmal, wenn ich an ihne vorübergehe, und mir vorstelle, welch schöner Strauss sie wären. Aber an die Schnittblumen in meinem Wohnzimmer habe ich mich irgendwann gewöhnt. Wenn sie verblüht sind, entferne ich sie und denke an einen neuen Strauss.

Also eigentlich geht es mir ja mit den Blumen in der Vase ganz ähnlich wie mit den verwirklichten Träumen. Auch an sie habe ich mich nämlich bald gewöhnt und freue mich nicht mehr so intensiv darüber wie an Anfang. Die schlafenden Träume in meinem Herzen hingegen erfreuen mich jedesmal, wenn ich daran denke, wie ich sie mir erfüllen könnte. Diese Freude verliert viel länger nichts von ihrer Intensität.

Wahrscheinlich kommt es auf das richtige Gleichgewicht an. Wenn ich in meinem Garten immer sämtliche Blumen pflücken würde, wäre ich traurig, dass der Garten dann nicht mehr so schön blüht. Und wenn ich mir immer jeden Traum erfüllen würde, wäre ich traurig, weil ich mir nicht mehr ausmalen könnte, was wäre, wenn mein Traum Wirklichkeit würde.


20. September 2019

Manche seelische Wunden...

...habe ich viele Jahre mit mir herumgetragen. Die Schmerzen habe ich einfach zähneknirschend hingenommen. Aus meinen Wunden floss ein unendlicher Strom aus Eiter in Form von Wut, Hass und Hader. Diese Gefühle kreisten oft innerlich um die Menschen, die mir diese Wunden beigebracht hatten. Und ich hatte gar keine Lust mich aus diesem endlosen Loop zu befreien. Ich meinte, ein Recht auf Zorn und eine Verpflichtung zum Nichtvergessen zu haben. Dass ich dem Bösen aus der Vergangenheit zu viel Raum in meinem Inneren schenkte, bemerkte ich nicht. Und dass meine Wunden so nicht heilen und ich deswegen auch nicht schmerzfrei werden konnte, das war mir auch nicht klar. Das Lecken meiner Wunden tröstete mich zwar nicht gross, aber ich fühlte mich trotzdem irgendwie sicher in meiner Blase aus Kummer und Trauer, weil ich mich so gar nicht zu bewegen brauchte. Die Verantwortung für meine seelischen Wunden lag ja nicht bei mir!

Ich änderte meine Meinung erst, als ich mich gerade von einer Grippe erholte. Ich gönnte mir viel Ruhe und hatte plötzlich sehr viel Zeit, die Sache mit der Verantwortung noch einmal zu überdenken. Ich war sicher, dass mich eine Person aus meinem Bekanntenkreis mit dieser ziemlich heftigen Grippe angesteckt hatte. Aber ich nahm es ihr nicht übel. Schliesslich hatte sie mir ihr Virus nicht absichtlich angehängt. Aber selbst wenn... die Verantwortung, wieder gesund zu werden lag eindeutig zu hundert Prozent bei mir. Mich jetzt ausführlich über meine Bekannte zu ärgern, hätte mich zu viel Kraft gekostet, die mir dann für die Gesundung gefehlt hätte. Eigentlich - so wurde mir auf einmal klar - verhielt es sich gar nicht anders mit seelischen Wunden: Dass ich früheren Übeltätern bisher so viel Raum geschenkt hatte, nahm mir die Kraft, mich um meine eigene Heilung zu kümmern. Ausserdem tat ich ihnen viel zu viel Ehre an, indem ich mich in meinem Leiden so auf sie konzentrierte. Ich beschloss kurzerhand, ihnen zu verzeihen und mich fortan um mein eigenes Wohl zu kümmern.

Verzeihen bedeutet für mich übrigens einfach, dass ich nicht mehr den Menschen verurteile, sondern nur noch seine Taten. Und das ist Balsam auf alle Wunden.


21. September 2019

Wer sein Bestes gibt...

...der braucht sich weder Sorgen noch Vorwürfe zu machen, denn er tut ja bereits alles, um zu erreichen, was ihm wichtig ist.

Natürlich gibt es keine Garantien, dass man am Ende auch wirklich dort ankommt, wo man hin wollte: Auch wenn man sein Bestes gibt, kann man scheitern. Ich für meinen Teil beruhige mich in einem solchen Fall bald wieder. Was ist schon der Ärger über ein verpasstes Ziel, für das ich immerhin mit allen Kräften gekämpft habe? Viel ärgerlicher fände ich es, wenn ich in den wirklich wichtigen Dingen nicht mein Bestes gegeben hätte. Hat also etwas trotz all meiner eingesetzten Energie nicht geklappt, so passte wohl mein Vorhaben aus irgendwelchen Gründen nicht in die Pläne des Grossen Ganzen.

Damit kann ich gut leben, weil ich weiss, dass sich ständig neue Wege und Möglichkeiten auftun. Diese werden mich vielleicht sogar noch höher hinaus führen, als ich es mir im Moment erträumen kann. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis ich mich wieder glücklich fühle. Und so mache ich mich einfach so bald als möglich auf die Suche nach einem neuen Weg. Jetzt erst recht! Wäre ja gelacht!


21. September 2019

Alles schön und gut, aber...

...wenn ich einmal keine Kraft habe? Wenn ich erschöpft bin oder traurig? Wenn mir der Mut fehlt für Neues? Wenn ich den Glauben an meine Ziele aufgegeben habe? Ja, das kommt vor. Niemand ist schliesslich andauernd ein Stehaufmännchen. Es ist mir bewusst, dass ich sehr grosses Glück habe: Ich werde stets getragen durch meine Liebsten. Sie helfen mir, mich immer wieder aufzurappeln, wenn ich am Boden liege. Ich weiss, dass nicht alle Menschen in dieser glücklichen Lage sind.

Ich habe mich schon oft gefragt, was ich wohl täte, wenn ich ganz ohne diesen tollen Rückhalt wäre. Würde ich vielleicht in einem rabenschwarzen Loch sitzen und mir überlegen, ob mein Leben noch einen Sinn macht? Ja, vielleicht schon. Aber darüber zu mutmassen ist schwierig, weil ja sowieso immer alles anders kommt, als man denkt. Ich habe mir aber schon lange etwas vorgenommen: Sollte ich mich einmal ganz alleine im Leben zurechtfinden müssen, dann werde ich voll und ganz auf meine andere Quelle der Kraft bauen und all meine Zeit und meine Energie mit anderen Menschen teilen. Wie eigentlich heute auch schon.


25. September 2019

Dass uns manchmal die nackte Angst...

...ihre Faust ganz unverhofft in die Magengrube rammt, das kennen wir alle in irgendeiner Form. Wenn mir das passiert, liege ich meistens gerade wach, Die Nacht ist schwarz und still, ich habe nichts zu tun als auf den Schlaf zu warten. Genau dann fängt es an. «Deine Tage sind gezählt» , flüstert eine innere Stimme, «die Stunden, die Minuten, die Sekunden... und du hast längst den grösseren Teil aufgebraucht...» Ich bilde mir sogar ein, dass sie lacht, diese eigenartige Stimme. «Du hättest vielleicht doch dein Leben noch mehr geniessen sollen.», kichert sie hämisch und mein Magen wird ganz flau.

Ich komme ins Grübeln: Weiterschlafen ist jetzt vielleicht sowieso nicht unbedingt mehr die richtige Entscheidung. Sollte ich nämlich schon morgen gar nicht mehr aufwachen, dann habe ich meine letzten Stunden nicht mehr sinnvoll genutzt. Und schon drehen sich die Gedanken im Kreis, der Puls erhöht sich. Die Stimme hat recht. Vielleicht hätte ich das Leben wirklich noch mehr geniessen sollen. Aber tue ich nicht genau das ohnehin schon jeden Tag? Ist denn meine Angst ein wirksames Mittel gegen den Tod? Nein, nicht wirklich; Todesangst hin oder her, gestorben wird trotzdem. Und solange ich noch lebe, bin ich frei in einer wichtigen Entscheidung: Ich kann den Rest meines Lebens in Angst vor dem Sterben verbringen oder eben gerade nicht.

Genau dann kommt jeweils der Moment, wo ich mein Kissen aufschüttle, mich bequem hinlege, einen tiefen Atemzug nehme und zu dieser inneren Stimme sage: Ich habe keine Lust, dir zuzuhören. Ich werde jetzt genüsslich schlafen und mein Leben wie immer vertrauensvoll in die Hand des Grossen Ganzen legen. Alles wird so kommen, wie es richtig ist.

Den nächsten Gedanken fasse ich übrigens erst einige Stunden später nach einem erholsamen, tiefen Schlaf. Dann, wenn es Tag geworden ist und die nächtlichen Gespenster mir nichts mehr anhaben können.


27. September 2019

Für die Stürme, die im Laufe...

...meines Lebens an mir gerüttelt haben, bin ich unendlich dankbar. Sie haben mir die Stärke verliehen, die ich heute habe. Auch wenn ich manche Erlebnisse aus meiner Vergangenheit niemandem wünsche; ich selbst möchte sie nicht mehr missen, weil ich so viel daraus gelernt habe. Und hadern mit gestern ist sowieso nicht mein Ding, denn ich habe keine Lust in der Vergangenheit gefangen zu bleiben. Ich freue mich jetzt über das Heute. Nur hier kann ich bewegen, was mir wichtig ist.

Die Sturmwinde in der Vergangenheit haben mir zum Beispiel meine Angst genommen, allein zu stehen. Schliesslich kann mich niemand weiter nach unten stossen als bis zum Boden. Und von dort bin ich bisher trotzdem immer wieder hochgekommen. Diese Zuversicht ist ungemein hilfreich, wenn ich für eine Sache kämpfe. Sie lässt mich mit Leichtigkeit auch mal als einzige aufstehen und die Stimme erheben, wenn alle anderen schweigend sitzenbleiben. Genau das ist Freiheit und genau das macht mich glücklich.


1. November 2019

Die meisten von uns haben es...

... wohl auch schon erlebt, von jemand aus heiterem Himmel mit einer furchtbaren Wut übergossen zu werden, die einfach nicht erklärbar ist. Wenn mir das passiert, erschreckt und beschäftigt es mich jeweils zutiefst. Ich mache mich dann natürlich sofort auf die Suche, wo ich einen Fehler gemacht haben könnte. Glücklich bin ich, wenn man mir - wie in den meisten Fällen - die Erklärung für diese Wut gleich unmittelbar und direkt nachliefert. Oder wenn ich wenigstens durch intensives Nachdenken der Ursache auf die Spur komme. So kann ich mich entschuldigen oder mit der wütenden Person mindestens unsere verschiedene Sicht der Dinge besprechen. Das kann gut dabei helfen, wieder Frieden zu schliessen. Es funktioniert aber nur, wenn mein Gegenüber auch dazu bereit ist, mich zu informieren, was ihm denn genau in den falschen Hals geraten ist.

Leicht irritiert fühle ich mich, wenn ich von einer mir völlig unbekannten Person eine Mail erhalte, in der ich beschimpft werde, weil ich mich beruflich und privat für Migranten engagiere. Aber das kann ich irgendwann wegstecken, denn ich bin voll und ganz davon überzeugt, dass meine Arbeit nötig und richtig ist. Und es tut mir leid, dass es Menschen gibt, die derart verletzt sind, dass ihre Wut so viel Platz in ihrem Inneren einnimmt und dabei überschäumt. So gesehen hilft es vielleicht der Welt ein bisschen weiter, wenn man als Mailempfänger Ventil sein kann für Wutgefühle, weil dann eben hoffentlich nichts Schlimmeres passiert.

Schwierig wird es, wenn man plötzlich durch Dritte erfährt, dass man bei jemand gerade für grosse Wutgefühle sorgt und einem dabei keiner erklären kann oder will, was denn die Ursache dafür ist. Und wenn man eben eigentlich offiziell gar nichts davon weiss, weil einem die wütende Person ausweicht und auch ihre Wut nicht zeigt, sondern nur mit anderen darüber spricht.

Klingt kompliziert und ist es auch.

Irgendwann habe ich aber gelernt, dass sich unsere Wut und unser Ärger immer weiter in uns aufstauen werden, solange wir den Grund dafür nicht direkt mitteilen. Nur wenn unser Gegenüber die Fehler kennt, die es vielleicht gemacht hat, kann es auch die Verantwortung dafür übernehmen. Und erst dann ist der Weg frei für Lösungen und den Frieden. Für mich ist deshalb eines sonnenklar: Wenn ich auf jemand sauer bin und es mir wirklich wichtig ist, spreche ich ihn direkt darauf an. Dann können wir zusammen Lösungen finden; natürlich nur, wenn ich bei meiner Reklamation etwas Wichtiges im Auge behalte:  C'est le ton qui fait la musique.

Und wenn ich in meinem Ärger schweige? ...Dann ist es mir einfach nicht wichtig genug und ich kann auch weiterhin glücklich bleiben, obwohl ich mich gerade für einen Moment ein bisschen geärgert habe.


3. November 2019

Die bequemste Ausrede lautet

... «Ich bin halt so!» Damit braucht man sich nicht zu bewegen und schon gar keine Verantwortung für sich selbst und sein Leben zu übernehmen.

Ich habe mich jeweils mit diesem Satz getröstet, wenn ich mir eigentlich dringend wünschte, etwas Ungutes an mir zu verändern, aber mir nicht zutraute, das auch zu schaffen. Sobald ich den Satz zu Ende gedacht hatte, konnte ich mich nämlich zurücklehnen, wie auf einem bequemen Sofa. Je länger ich mich so zurücklehnte, desto träger wurde ich. Jede Änderung meiner Position barg das Risiko, dass es eventuell anstrengend oder sogar gefährlich werden könnte. Das machte auch Angst. Und diese Angst blockierte meinen Wunsch nach Veränderung. Glücklich fühlte ich mich so nicht, weil ich mir machtlos vorkam.

Eines Tages erkannte ich dann urplötzlich: Alles liegt an meinem Willen, meiner Zuversicht und dem Vertrauen in meine Kraft. Plötzlich machte der Satz «Ich bin halt so!» keinen Sinn mehr. Auf einmal war mir klar, dass die Entscheidung, mich in eine Richtung zu bewegen, ganz allein bei mir liegt und dass ich mich jederzeit ändern kann, wenn ich an mich glaube.

Zum Glück habe meine Selbstwahrnehmung damals nicht in Stein gemeisselt. Vor der Verantwortung für mich selbst und mein Leben habe ich längst keine Angst mehr. Bewegung und Veränderung finde ich nicht mehr furchteinflössend, sondern unglaublich spannend. Und glücklich fühle ich mich so auch: Ich weiss jetzt, dass ich fähig bin, mich zu verändern, wie auch immer ich will und das Steuer meines Lebens trotzdem sicher in der Hand zu halten.


9. November 2019

Jedem geschieht immer wieder mal...

...Unrecht. Das ist normal. Aber meistens ist man stark genug, um das zu verkraften. Auch wenn es vielleicht so schmerzhaft war, wie eine Ohrfeige, die mit voller Energie mitten ins Gesicht traf. Für mich ist es dann jeweils ziemlich schwierig, irgendwann trotzdem wieder zur Tagesordnung überzugehen. Wahrscheinlich, weil es noch lange in mir brennt und ich mir deswegen selber leid tue.

Was aber einmal geschehen ist, kann man leider niemals mehr rückgängig machen. Man kann einzig lernen, damit zu leben. Die Entscheidung ist nur, wie man das tun möchte; ewig jammernd oder zuversichtlich.

Diese Gedanken helfen mir jedesmal wieder dabei, ganz schnell wieder aus dem Tränensee des Selbstmitleids herauszusteigen, mich gründlich abzutrocknen, in meine Siebenmeilenstiefel zu schlüpfen und mich zuversichtlich aufzumachen in meine weitere Zukunft.

Ausserdem ist ein erlittenes Unrecht nicht mein Problem. Ich habe es ja schliesslich nicht begangen. Nur meine Reaktion darauf könnte zu meinem Problem werden. Dann nämlich, wenn sie nicht angemessen ist.


12.November 2019

Dass einem alle Menschen...

...wohlgesonnen sind, das ist so ziemlich unmöglich im Leben. Natürlich weiss ich, dass ich selbst das meiste dazu beitrage, ob man mich mag oder eben nicht. Und weil ich - wie wir alle - ein Mensch mit Ecken und Kanten bin, verursache ich wohl ab und zu bei meinen Mitmenschen ein gewisses Missfallen, ohne dass ich das eigentlich will. Meistens kann ich die Gründe dafür aber irgendwann nachvollziehen. Und fast immer hat dieses Missfallen ganz direkt etwas mit meinem eigenen Verhalten zu tun: Ich muss mich also ohne Mitleid an meiner eigenen Nase packen. Was mich wiederum zu einem späteren Zeitpunkt durchaus auch wieder glücklich machen kann. Denn ich bemühe mich ja dann, mein Verhalten zu ändern und einen Weg zu suchen, um das Donnergrollen in Sonnenschein aufzulösen. Leider gelingt das nicht immer. Tja, vielleicht müsste ich einfach energischer daran arbeiten! Oder aber es hat gar nicht immer direkt etwas mit mir zu tun. Manchmal bin ich möglicherweise einfach der letzte Tropfen in irgendeinem ohnehin allernächstens überkochenden Fass. Dann nützt alles nichts, weil die Feindseligkeit nicht mehr zu stoppen ist. Ich finde es dann richtig schwierig, das auszuhalten, denn es ist fast unmöglich, es zu ändern.

Solches hilft ja nicht gerade dabei, glücklich zu sein... oder irgendwie vielleicht doch? Plötzlich beginnen nämlich all die vielen Menschen ganz golden zu leuchten, mit denen alles im Lot ist. Mit einem Mal ist mir klar, wie wertvoll und schön es ist, von ihnen gemocht zu werden. Sympathie und Wohlwollen ist ein Geschenk, dass ich umsomehr schätze, weil mir auch ab und zu das Gegenteil davon begegnet. Wenn ich es möchte, kann ich dem Negativen die Kraft verleihen, das Positive noch mehr strahlen zu lassen.

...und schon bin ich wieder glücklich!



16. November 2019

Mit einer Sache habe ich...

...einfach unglaubliches Glück: Meine Arbeit als Deutschlehrerin erfüllt mich jeden Tag wieder aufs Neue mit Freude. Obwohl ich dafür einerseits wirklich täglich sehr viel Energie brauche, schöpfe ich daraus andererseits eine enorme Kraft, denn meine Arbeit ist auch ein gigantischer Speicher mit schier unendlichen Glücksreserven. Noch kein einziges Mal habe ich bedauert, wenn meine Ferien vorbei waren oder wenn Montag war. Im Gegenteil; montags wache ich auf und denke: "Wow, eine neue Woche beginnt. Was sie wohl alles für mich bereithält?"

Es ist wunderschön, mit Menschen zu arbeiten. Ich liebe das Strahlen in den Gesichtern, wenn plötzlich etwas Kompliziertes verstanden wurde. Es ist toll, zu sehen, wie sich manche Lerner in ganz unerwartete Höhen schwingen. Es macht natürlich auch Spass, Grammatik in essbare Häppchen zu portionieren, die gut verdaubar sind und dazu erst noch schmecken. Und ich bin dankbar, wenn mir die Menschen ihr Vertrauen schenken und das auch so aussprechen.

Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht wenigstens einmal innehalte, um meine tiefe Zufriedenheit zu spüren und zu geniessen. Ich hoffe, dass meine Leidenschaft für die Sprache, für meinen Beruf und all die Menschen noch lange mein Motor für ein glückliches Leben bleiben wird. Am liebsten ganz bis zum Ende.


17. November 2019

Und deshalb ist das Leben...

...ein Ponyhof, oder was? Nur weil ich mir den Luxus gönnen kann, das zu arbeiten, was ich wirklich möchte? Ein grosser Teil der Menschheit muss sich mit der Arbeit irgendwie über Wasser halten. Es bestehen weder Möglichkeiten noch Ressourcen, sich diesen Beruf auszuwählen, der am glücklichsten macht. Man muss einfach froh sein, wenn sich eine Gelegenheit bietet, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Das stimmt natürlich.

Trotzdem glaube ich, dass es ganz allein von uns selbst abhängt, worauf wir unseren Fokus richten. Es ist nämlich grundsätzlich für jeden immer möglich, sein inneres Feuer zu schüren. Und das muss nicht zwangsläufig für die Arbeit brennen. Wenn es das aber tut - umso praktischer, weil wir ja alle die meiste Zeit unseres Tages mit arbeiten verbringen.

Mit dem inneren Feuer meine ich jegliche Leidenschaft, die wir bei unserem Tun empfinden. Die Leidenschaft, die uns alles um uns herum vergessen lässt. Sind wir von ganzem Herzen bei einer Sache, ist unser Blick klar und unsere Energie bündelt sich konzentriert sowohl nach innen als auch nach aussen. Das sorgt für Glücksgefühle und tiefste Zufriedenheit. Unsere Smartphones sind dazu übrigens denkbar ungeeignet. Zwar vergessen wir auch mit ihnen die Welt um uns herum, aber sie vernebeln eher unsere Sinne, als dass sie sie schärfen.

Jetzt komme ich zum springenden Punkt: Wir können die Dinge, die wir nicht gerne tun, einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Ich habe das beim Bügeln gelernt. Das ist nämlich nicht gerade die Tätigkeit, die ich besonders liebe. Eher im Gegenteil. Trotzdem muss es getan sein. Ich kann mich einzig entscheiden, es in guter oder in schlechter Stimmung zu tun. Was wähle ich wohl? Richtig! Die gute Stimmung, denn das Leben ist zu kurz für schlechte Laune. Eines Tages habe ich gemerkt: Niemals kann ich meine Gedanken freier schweifen lassen als wenn ich bügle! Selbst während meiner geliebten Arbeit ist das nicht in diesem Mass möglich. Mit den Gedanken fliegen, wohin auch immer ich will. Einfach so, zu keinem bestimmten Zweck und zu keinem Ziel. Wunderbar. Bügeln ist also eine tolle Gelegenheit, sich frei zu fühlen.

Eigentlich müsste ich jetzt die ganzen 24 Stunden bügeln wollen auf meinem Ponyhof. Oder arbeiten gehen. Oder beides. So gesehen haben wir eben alle die Kraft, uns in den Ponyhof unseres Lebens zu katapultieren. Es kommt einfach auf den richtigen Fokus an.



21. November 2019

Wenn ich mich mal....

...ganz tüchtig über eine andere Person ärgere, dann meine ich natürlich immer auch, dass sie meinen Ärger verdient hat. Ich sehe ja schliesslich ganz genau, was sie falsch gemacht hat und wo sie sich schlecht verhält. Auch weiss ich ganz klar, wo sie sich ändern müsste. Und dann kommt schon bald der Moment, wo mein Urteil über diese Person einfach nur vernichtend ausfällt.

Tja, wenn alles so einfach wäre...

Denn wie das Leben so spielt, finde ich mich meistens etwas später unverhofft selber in der Rolle jener Person wieder, die den Ärger der anderen verdient hat. Natürlich habe ich meine Gründe für mein Verhalten, auch wenn sie nicht immer ehrenwert sind... und genau dies bringt mich an den Punkt, wo ich mich anfange zutiefst zu schämen. Diese Person von neulich, über die ich mich so furchtbar geärgert habe und die ich so gnadenlos verurteilt habe; wahrscheinlich hatte auch sie ihre Gründe. Vielleicht sogar die ehrenwerteren als ich.

Ein Grund für ein Fehlverhalten ist ja eigentlich keine Entschuldigung. Aber eine Erklärung. Eine Erklärung kann zu besserem Verständnis führen. Besseres Verständnis führt zu einer angemessenen Reaktion. Eine angemessene Reaktion verhilft zu mehr Gelassenheit und Ruhe. Gelassenheit und Ruhe... ja richtig... diese beiden liegen ja mitten auf dem Weg zum Glücklichsein.

Aber eben: Was in der Theorie überzeugt, klappt im praktischen Alltag sehr oft nicht. Deswegen serviert mir das Leben wohl immer wieder neue Gelegenheiten zum Training. Ich darf einfach nicht aufgeben!


23. November 2019

Warum für mich Gott unmöglich...

...ein Zorniger und Strafender sein kann, sofern er überhaupt existiert? Vielleicht erkläre ich das einfach anhand meiner eigenen Gefühle. Die kann ich nämlich selber am besten beurteilen.

Wir hatten das Glück, drei gesunde und vor allem sehr quirlige, wache und neugierige Kinder aufzuziehen. Das war wunderschön und bereichernd. Vor allem, weil sie so neugierig und wach waren. Ihr Geist ist bis heute so geblieben und das hat sie dann zu sehr klugen freidenkenden Erwachsenen gemacht. Die Zeit mit unseren Kindern war aber oft auch anstrengend und schwierig, vor allem, weil quirlige, wache und neugierige Kinder vieles ausprobieren. Natürlich auch Negatives. Doch welcher Mensch hat denn als Kind weder gelogen noch gestohlen, oder war auch gar nie ganz furchtbar gemein zu anderen? Es ist völlig normal, dass man am Anfang seines Lebens viele gute und schlechte Rollen ausprobieren muss, damit man sich irgendwann zu einem nützlichen Mitglied der Gemeinschaft entwickeln kann. Die Eltern und andere Erwachsene sind dazu da, genau hinzusehen und die Kinder in ihrer positiven Entwicklung zu unterstützen, weil ihnen das Glück der Kinder am Herzen liegt.

So oft war ich traurig, ratlos oder sogar richtig wütend, weil sich eines unserer Kinder schlecht verhalten hat. Unser Grundsatz war immer, die Kinder zur Selbstverantwortung zu erziehen und ihnen ganz klar aufzuzeigen, welche Folgen ein unrechtes Verhalten hat. Unsere Liebe zu ihnen gab uns ein fast grenzenloses Vertrauen in ihr Potenzial. Wir waren uns stets sicher, dass sie sich zu guten Menschen entwickeln werden. Am Ende ist die Saat aufgegangen und heute sind wir immer noch stolz auf sie.

Und jetzt komme ich zum Thema:

Ich wäre nie auf die Idee gekommen, eines meiner Kinder aus Zorn über sein Verhalten in ein ewiges Feuer zu werfen und dort brennen und leiden zu lassen. Egal, was mein Kind auch immer getan hätte oder auch später vielleicht tut: Ich akzeptiere eine Handlung vielleicht nicht, aber meine Liebe ist immer stärker als all meine Trauer, Enttäuschung oder Wut. Ich gehe davon aus, dass die meisten Eltern gleich empfinden. Also ist die Liebe der Eltern zu ihren Kindern perfekter, als die Liebe Gottes zu den Menschen? Manche religiösen Eiferer und Angstmacher behaupten ja, dass Gott auf die meisten Menschen ziemlich zornig ist und für fast jeden aus der Weltbevölkerung zur Strafe ein nettes Plätzchen im ewigen Feuer bereithält.

Nein! Für mich wäre Gott nicht Gott, wenn er und seine Liebe zu den Lebewesen nicht perfekt wären. Gestraft werden wir einzig und allein durch die Konsequenzen unseres Handelns und nicht von Gott. Er hat es nicht nötig, zornig und strafend zu sein, weil ihm unser Glück am Herzen liegt und er uns alle zutiefst liebt. Bedingungslos.


23. November 2019

Verdammt unlogisch, dass du als Vegetarierin...

...Fisch isst! Und überhaupt! Würde man dir für drei Wochen dein Gemüse wegnehmen, dann würdest du eine deftige Fleischmahlzeit sogar geniessen.»

«Sei doch nicht so scheinheilig mit deinem Velo unterwegs! Wenn du glaubst, du musst die Welt retten, dann lass doch besser deine Flugreisen bis ans Ende der Welt.»

«Schäm dich! Leute, die Migranten Deutschunterricht erteilen, sind ganz einfach Schmarotzer beim Sozialstaat, weil sie sich die Taschen auf Kosten des Steuerzahlers füllen.»

«Komm mir bloss nicht mit religiöser Toleranz. Die Islamisten lassen ja in ihren Ländern auch keine Christen ihre Kirchen bauen. Und du wärst sowieso die Erste, deren Kopf rollen würde, wenn die bei uns einmarschierten..»

Einerseits befremden mich solche Aussagen. Andererseits muss ich auch immer wieder darüber lachen. Das ist auch gut so.

Und recht haben sie ja alle irgendwie ein bisschen:

Klar möchte ein Fisch genau so wenig auf meinem Teller landen, wie ein Kalb oder ein Huhn. Und sicher retten meine Velofahrten weder das Klima noch die Welt, dazu sollte ich tatsächlich eher das Fliegen lassen. Dass ich mein Geld verdiene als Deutschlehrerin, ist auch korrekt; schliesslich muss auch ich irgendwie für meinen Lebensunterhalt aufkommen. Die einen schneiden dafür Haare, andere retten Leben und ich bringe halt ein wenig Grammatik bei. Und dass es zum Beispiel in Afghanistan eher wenige christliche Kirchen gibt, ist auch unbestritten, aber es trotzdem nicht unbedingt mein Ziel, den Kirchbau in Afghanistan voranzutreiben, sondern ich will die Menschen hier in der Schweiz zu mehr Toleranz inspirieren.

Jeder dieser lauten Kritiker hat doch selbst seine konkrete Vorstellung von einer besseren Welt und bemüht sich - genauso wie ich - nach allen Kräften, seinen Beitrag dazu zu leisten. Ich glaube, es gibt hier weder schwarz noch weiss, solange diese Bemühungen von Herzen kommen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass mein Verhalten manche Menschen nervt, weil ihnen meine Unzulänglichkeit ihre  eigene und dazu noch ihre Machtlosigkeit vor Augen führt: Als Fleischesser fühlt man sich ein bisschen schizophren, weil man gleichzeitig seinen Hund abgöttisch liebt. Weil man mit dem Auto zur Arbeit fährt, leidet das Gewissen. Die Migranten machen einerseits Angst und andererseits ist doch keine griffige Lösung für die Probleme bereit, die dadurch entstehen.

Ich finde, dass wir alle - die sich dafür bemühen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen - einfach besser zusammenhalten sollten, anstatt uns gegenseitig zu zerfleischen. Wenn wir uns in unseren Bemühungen ergänzen, dann haben wir auch die Chance, die Welt gemeinsam zu retten.


26.11.2019

Ich liebe die Wirkung...

...dieses kleinen Wortes - vor allem bei meinen Mitmenschen, aber natürlich auch bei mir selbst. Es ist so unspektakulär und kurz: Danke. Doch was es auslöst, ist gross: Glück, Zufriedenheit und Freude. Deswegen wundere ich mich manchmal, dass es den meisten Menschen so ausserordentlich schwer über die Lippen kommt. Es macht den Eindruck, als hätten die Leute Angst davor, sich eine Blösse zu geben, wenn sie sich bedanken. Sie fühlen sich vielleicht sicherer, wenn sie schnell den Tunnelblick aufsetzen, für den Fall, dass ihnen jemand im Tram Platz macht, den verlorenen Schal nachträgt oder die Tür aufhält.

Für mich ist ein "Danke" der Glücksgenerator schlechthin. Ob man es ausspricht oder entgegennimmt, ist dabei nicht so wichtig: Das Herz fühlt sich bei beidem ganz golden an und jeder graue Alltag beginnt mit einem Mal zu leuchten. Und noch dazu kostet es nichts, im Gegenteil. Es kommt auch immer wieder zurück.

Wer es sich nicht schon längst angewöhnt hat, sich für banale Kleinigkeiten zu bedanken, der sollte es nun schleunigst ausprobieren. Ich garantiere, dass der Pegel an Glückshormonen und die Lebensqualität sofort steigen werden. Dieses kleine Wort hilft also massgeblich dabei, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, weil sich seine Wirkung direkt in unseren Herzen entfaltet.

Wenn Du also heute einmal ausprobierst, Dich etwas mutiger für Kleinigkeiten zu bedanken, generierst Du damit noch mehr Freude in unserer Welt. Das ist gut. Dankeschön.


1.12.2019

Einmal etwas stehlen...

...das probiert wohl überall auf der Welt jedes Kind aus. Oft geschieht das wahrscheinlich einfach aus Übermut und vielleicht auch aus dem Streben nach dem Glück. Ich selber muss diesbezüglich ein wirklich schwieriges Kind gewesen sein... Aus sicherer Distanz gesehen kann ich es heute verstehen. Meine andauernden Räubereien überall geschahen aus purer Verzweiflung. Es gab eine Zeit in meinem Leben, da war ich alles andere als glücklich. Ich stand nämlich inmitten vieler feindlich gesonnener Kinder ganz alleine. Zwar änderte das Stehlen auch nichts an meiner Situation, aber es gab mir das Gefühl, zumindest über irgendetwas eine Kontrolle zu haben. Und das verhalf mir immerhin zu einem Hauch des Glücks.

Ich weiss nicht, wo ich heute stünde, wenn ich es nicht einmal entschieden übertrieben hätte mit meiner Dieberei. Ich muss etwa elf Jahre alt gewesen sein. Mein Vater hatte mich wohl schon lange im Stillen im Verdacht gehabt, dass ich mich täglich immer dreister aus seiner Münzkasse bediene. Eines Tages sprach er mich darauf an. Natürlich stritt ich alles ab. Seine traurigen Augen waren nur schwer auszuhalten. Die Beweislast war erdrückend und am Ende versprach ich weinend, mich zu bessern. Ich wünschte mir sehnlichst eine harte Strafe, um meine Schuld zu sühnen und mein Gewissen zu reinigen. Doch mein Vater schüttelte traurig den Kopf. Er könne mich nicht bestrafen, meinte er leise. Schliesslich sei es sein Fehler, dass er seiner Tochter zu wenig Taschengeld gebe und sie so dazu zwinge, zu stehlen. Deswegen schlage er vor, mir mein Taschengeld ein bisschen zu erhöhen, damit ich nicht mehr stehlen müsse. Ich sollte einen Vorschlag machen, mit welcher Summe ich zufrieden sei und die Stehlerei künftig lassen könne. Es gelang mir nicht, ihn davon zu überzeugen, mich für mein Vergehen zu bestrafen. Ich wollte nicht mehr Taschengeld! Eigentlich wollte ich nur noch ganz tief in den Boden versinken und nie wieder auftauchen, so sehr schämte ich mich. Doch mein Vater nahm mich in den Arm und tröstete mich. Er, der doch genaugenommen selber Trost verdient hätte, weil ihn seine Tochter so enttäuscht hatte.

An diesem Tag lernte ich zwei grundlegende Dinge: Die Liebe meines Vaters war bedingungslos, egal, wieviel Kummer ich ihm auch machte. Und die Entscheidung lag ganz allein bei mir, ob ich seiner Liebe wert sein wollte. So beschloss ich, keine Diebin mehr zu sein bis an mein Lebensende; das konnte ich nämlich auch frei entscheiden.

Ich habe mit diesem Erlebnis grosses Glück gehabt. Deswegen fällt es mir wahrscheinlich stets sehr leicht, so manchen kleinen Dieben zu verzeihen, denen ich ab und zu in meinem Leben begegne. Ihnen war wohl dieses immense Glück und diese bedingungslose Liebe in ihrer Kindheit nicht beschieden. Wäre ich an ihrer Stelle, wäre ich vielleicht noch viel der grössere Halunke.


5.12.2019

Es gibt Momente...

... wo ich mir vorkomme, als wäre ich zusammen mit anderen in einem stockdunklen Raum eingesperrt. Alle Anwesenden sind mir bekannt. Wir haben die Aufgabe, im Raum umherzuwandern und zusammen die Tür zu finden. Ich spüre, wie mir immer wieder das Bein gestellt wird und ich geschubst werde, damit ich falle. Doch ich kann nicht sehen, wer das tut.

Auf einmal geht das Licht an. Alle lachen und klopfen einander auf die Schultern. War das ein Spass eben, nicht? Ich frage in die Runde, wer mich denn da eigentlich immer wieder zu Fall bringen wollte. Ratlose Gesichter. Was soll denn überhaupt diese Verdächtigung? Wir halten doch alle zusammen, oder? Niemand würde so etwas tun! Ich registriere verschwörerische Blicke, und ich weiss, dass manche hier ihr falsches Spiel spielen. Sie wiegen sich in Sicherheit, denn die Dunkelheit war ja soeben ihr guter Helfer.

Es gibt Momente,...

... wo ich denke, dass ich mich trotzdem nicht unterkriegen lassen werde. Soeben werde ich nämlich kostenlos trainiert:  Ränkespiele machen mich zäh, wie eine Katze mit ihren sieben Leben. Ich bin gerade noch an meinem ersten und habe noch sechs unverbrauchte in meinem Vorrat. Und einen langen Atem habe ich auch.

8.12.2019

Den Kopf über Wasser behalten...

...ist nicht immer einfach. Aber die Alternative dazu ist ertrinken. Das möchte ich eher nicht. Deswegen habe ich mich schon früh dafür entschieden, stets weiterzuschwimmen, egal wie bewegt die Strömung ist.

Zum Glück gibt es um mich herum lauter wunderschöne Inseln, die ganz und gar nicht einsam sind. Auf ihnen wohnen nämlich die Menschen, die mich schätzen und ermutigen oder auch mit ihrer Fröhlichkeit zum Lachen bringen. Meine Familie, meine Freunde und Nachbarn, Deutschlerner und Passanten aber auch meine Katzen leben dort. Wenn ich also merke, dass mich die Strömung immer wilder umherwirbelt, dann steure ich schleunigst eine dieser Inseln an und lege eine Pause ein. Vielleicht bin ich noch etwas ausser Atem. Es kann sein, dass ich mit den Tränen der Erschöpfung kämpfe, wenn ich an Land wanke. Der feste Boden unter den Füssen und die Wärme der Menschen gibt mir aber schnell wieder die nötige Kraft. Von hier aus betrachtet, ist das Wasser nicht mehr so bedrohlich. Ich trinke zwei, drei heisse Tassen Mut auf der Terrasse und lache mir zusammen mit den Inselbewohnern dankbar alle Sorgen weg. Dann dauert es meist nicht lange, bis ich es wieder wage in die Fluten zu springen. Denn eigentlich macht es ja Spass, seine Kraft zu spüren und den Kopf über Wasser zu behalten.


Ich danke Euch allen, die mich immer wieder auf ihren wunderschönen Inseln willkommen heissen. Ohne Euch wäre die Schwimmerei nämlich nicht so gut möglich.


13.12.2019

Eine gewisse Distanz...

...zu mir selbst und gewissen Ärgernissen einzunehmen, finde ich unglaublich schwierig. Und doch gebe ich nicht auf, genau das zu lernen, weil es wirklich hilfreich sein kann.

Wenn ich mich ärgere, ist das - wie bei den meisten Menschen - immer mit vielen Emotionen verbunden. Mich führt es dann irgendwann unweigerlich in eine steile Abwärtsspirale. Am Ende sitze ich jeweils in einem ziemlich dunklen Loch und habe überhaupt keine Lust mehr, nach oben zum Licht zu schauen. Zum Glück beobachte ich mich dann nach einer Weile genau. Meistens stelle ich in mir eine gewisse Lust an der Düsternis fest. Nebst allem Negativen fühlt es sich trotzdem irgendwie angenehm an, sich in der Opferrolle auszuruhen. Natürlich! So brauche ich nämlich meinen eigenen Anteil an gewissen Ärgernissen nicht mehr so genau zu analysieren: Die Umstände und meine Mitmenschen sind jetzt verantwortlich für die Misere und nicht ich. Das ist praktisch.

Zum Glück hat mir vor längerer Zeit einmal eine buddhistische Freundin folgendes erklärt: Der Ursprung vielen Leids liegt in unseren Emotionen. Wenn es uns gelingt, eine gewisse Distanz zu unseren Emotionen einzunehmen, können wir unser Leid etwas mildern. Das hat mich überzeugt. Seither arbeite ich daran, auch wenn es nicht immer einfach ist. Manchmal schaffe ich es schneller, manchmal braucht es seine Zeit. Seit ich meinen Aufenthalt im dunklen Loch als Verschnaufpause betrachte, ist es leichter geworden. Ich kann jetzt meinen Blick viel schneller wieder dem Licht zuwenden. Ich kann mich sogar darüber amüsieren, dass ich gerade wieder dort unten sitze und wie ein Vogel Strauss meinen Kopf auch noch ganz tief in den Sand gesteckt habe. Mich über mich selbst zu amüsieren ist mein Weg zu etwas mehr Distanz zu meinen Emotionen und mir selbst. Es fühlt sich irgendwie an, als ob mich nun plötzlich die Sonne aus meinem Herzen wieder aufwärmt und mir die Energie schenkt, schleunigst wieder nach oben ins Licht zu krabbeln.

Das tue ich dann auch. Der meiste Ärger ist es wirklich nicht wert, zu viel von meiner Aufmerksamkeit zu bekommen. Das Leben ist ausserdem zu schön, als dass ich mich zu oft herumärgern möchte.


16.12.2019

Ich kann jederzeit sein...

...wer und wie ich will. Es liegt an mir, wozu ich mich entscheide.

Als ich das verstanden hatte, fühlte ich mich ganz plötzlich aufgehoben in dieser Welt. Auch wenn sie zu jener Zeit für mich alles andere als ein freundlicher Ort war. Damals verbrachte ich meine Tage vorwiegend damit, mich durch die ständigen Sticheleien meiner Mitschüler irgendwie hindurchzuhangeln. Einfach war das nicht. Aber einen Ausweg fand ich auch keinen. Zum Glück hatte ich meine Bücher, mein Schreibheft und meine beiden Bäume. Ganz weit oben im Geäst vergass ich die Welt um mich herum und flog im Geist umher in den Zauberwelten zwischen den Zeilen meiner Bücher. Oder ich erschuf mir schreibend ein neues Ich, ausgerüstet mit Superkräften. Das erhielt mich am Leben und gab mir Energie.

Im Nachhinein bin ich übrigens kein bisschen traurig über diese erste Lebensphase in meiner Kindheit: Ohne sie hätte ich wohl heute nicht diese enorme Freude an der Arbeit mit der deutschen Sprache. Und ohne sie wäre ich vielleicht auch nie zur Erkenntnis gelangt, dass ich tatsächlich über gigantische Superkräfte verfüge: Nämlich, dass es ganz alleine in meiner Hand liegt, wer und wie ich werde. Einzig und allein meine Entscheidung zur Wandlung ist diese Superkraft.

Ich begann mich also umzuschauen und die Menschen in meinem Umfeld genau zu beobachten. Wen gab es denn um mich herum, dessen Eigenschaften ich auch gern besitzen wollte? Und wie wer wollte ich auf keinen Fall sein? Ich merkte, dass ich viele Idealvorstellungen hatte. Aber gleichzeitig entdeckte ich noch viel mehr Charakterzüge an mir, die mir gar nicht gefielen. Im Lauf des Lebens lernte ich, dass beides viel Arbeit bedeutet; sich in eine erwünschte Richtung zu entwickeln und sich Unerwünschtes abzugewöhnen. Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich schon damals gewusst hätte, dass diese Arbeit nie endet? Das weiss ich natürlich nicht. Aber was ich weiss, ist dieses:

Solange ich meine Superkraft zur Wandlung spüre, fühle ich mich lebendig und glücklich. Auch wenn die Arbeit damit manchmal ganz schön hart ist.


18.12.2019

Verzeihen können hat für mich...

... vor allem mit mir selbst zutun und weniger mit meinem Gegenüber. Ob es mir gelingt, hängt davon ab, ob ich dazu bereit bin. Manchmal habe ich nämlich keine Lust dazu. Denn es ist immer auch mit innerer Auseinandersetzung, also oft schmerzhafter Arbeit verbunden. Dazu fühle ich mich nicht immer stark genug. Doch irgendwann fällt mir dann auf, dass sich der Schmerz in mir nicht einfach von selbst auflöst. Nein, er intensiviert sich sogar, je länger ich ihn liegen lasse. Es fühlt sich an, wie ein schwelendes, übelriechendes Feuer. Ich frage mich dann, ob das die Sache wert ist. Ob ich nun wirklich einen guten Teil meiner Zeit damit verbringen möchte, mich von diesem unangenehmen Gefühl begleiten zu lassen. Und ob ich tatsächlich will, dass meine Energie ständig im Hintergrund davon abgesaugt wird. So bin ich dann schnell dazu bereit, meinen innerlichen Schwelbrand zu löschen.

 Was mir dabei hilft? Mich in mein Gegenüber zu versetzen. Mir zu überlegen, wie ich selbst wohl wäre an seiner Stelle, mit seiner Geschichte und in seinem Umfeld. Meistens komme ich zum Ergebnis, dass ich mich wahrscheinlich noch um einiges schlimmer benehmen würde, wäre ich in seiner Haut. So erhalte ich die nötige Distanz zum Vorgefallenen. Was nicht heisst, dass ich das toleriere, was passiert ist. Vielleicht bin ich trotzdem nicht damit einverstanden. Aber ich kann anknüpfen an einen kleinen Rest von Wohlwollen. Ist mir das gelungen, dann habe ich den Faden, aus dem ich mein Verzeihen stricken kann. Und jetzt kann ich meine Zeit für Gescheiteres nutzen als zum Lecken von irgendwelchen Wunden. 


Damit mich niemand falsch versteht: Ich habe nicht die Absicht, nun noch meine andere Wange hinzuhalten. Aber ich habe meinen Frieden gefunden, den mir mein Gegenüber fast gestohlen hätte. Nun kann ich mit neuer Energie weiterschwimmen in den Fluten des Lebens.

21.12.2019

Auf keinen Fall möchte ich...

...mir irgendwann Vorwürfe machen müssen, das Schöne in meinem Leben zu wenig genossen zu haben. Aber wie geniesst man denn eigentlich ausreichend?

Seit ich beschlossen habe, nichts - wirklich rein gar nichts - von all den guten Dingen in meinem Leben als selbstverständlich hinzunehmen, finde ich es überhaupt nicht mehr schwierig: Weil für mich keine Selbstverständlichkeiten mehr existieren, bin ich sehr dankbar für jegliches Positive. Diese Dankbarkeit generiert automatisch Genuss. Und vor allem schärft sie den Blick; ich gehe viel seltener achtlos an Kleinigkeiten vorüber, als ich es früher tat. Die Welt ist für mich bunter, wärmer und vor allem interessanter geworden. Es würde mir ziemlich schwerfallen, das nicht zu geniessen.


23.12.2019

Wahrscheinlich wäre der Versuch...

...schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, hätten Lukas oder ich einander jemals ändern wollen. Deswegen haben wir es wohl ganz instinktiv gelassen. Das ist wohl das Geheimrezept, warum wir unseren Weg schon so lange Zeit noch immer glücklich gemeinsam gehen.

Natürlich gibt es seit jeher immer mal wieder Dinge, die den einen am anderen stören. Das ist auch völlig normal. Aber da wir uns in der grundsätzlichen Lebenseinstellung ziemlich ähnlich sind, konnten uns solche Störfaktoren bisher nicht viel anhaben. Ich habe es immer unglaublich geschätzt, mit welchem Respekt Lukas meinen Gefühlen und meiner Persönlichkeit begegnet. Auch wenn ich alles andere als einfach bin, hat er mich nie als Knetmasse behandelt, die man unbedingt in eine bessere Form bringen sollte. Dadurch hat er es mir leicht gemacht, ihm gern die selbe Haltung entgegenzubringen.

Es bedeutet übrigens nicht, dass wir einander nie kritisieren. Kritik ist wichtig und richtig. Natürlich sollte Kritik weder dazu dienen, den anderen herabzusetzen, noch seine Gefühle zu bezweifeln. Sie sollte einfach dabei helfen, sich selbst aus der nötigen Distanz zu betrachten und sich wenn nötig zu ändern. Veränderung kann uns zum Glück nicht von jemand übergestülpt werden, wie ein neuer Hut. Der Wille und die Kraft dazu entsteht in uns selbst. Daran sollten wir uns auch im Umgang mit allen unseren Liebsten immer erinnern und ihrer eigenen Kraft zur Veränderung vertrauen.

25.12.2019

Die kleine Katze heisst...

...Toubab. Diesen Namen rufen die Kinder in Senegal vergnügt den Weissen hinterher. Toubab ist ziemlich weiss, mit ein wenig grau. Richtig gross geworden ist sie in ihren anderthalb Lebensjahren nie. Aber unglaublich fröhlich, lustig und glücklich; stundenlang draussen unterwegs und dann tropfnass und zufrieden auf unseren Knien zusammengerollt. Man kann sagen, dass sie wahrscheinlich jede einzelne Minute ihres Lebens bis in den allerhintersten Winkel ihrer Seele genossen hat. Und gut hat sie daran getan!


Unsere Nachbarin hat sie liebevoll in einen Karton gebettet, nachdem sie sie heute Vormittag am Strassenrand gefunden hat. Sie hat sie ganz leicht zugedeckt mit rosa Seidenpapier und bestreut mit Blümchen und Farngrün. Ganz warm ist sie noch, die Kleine. Ihre goldenen Augen lassen sich partout nicht schliessen. Sie möchte wohl noch ein bisschen schauen, bestimmt ist sie erstaunt, wie schnell dieses wundervoll unbeschwerte Leben zu Ende war. An ihrer Nase hängt ein winziges Tröpfchen Blut, sonst ist sie unversehrt. Es muss wirklich sehr schnell gegangen sein. Wenigstens das. Kater Kasper steht neben dem Karton. Er möchte nicht hinsehen, dreht sich entschlossen weg. Am Ende stupst er sie doch mit der Nase an, die Kleine. Er leckt ihr ganz leicht übers Gesicht. Ein bisschen wie immer, aber doch ganz und gar nicht. Toubab bekommt ein Grab auf dem Hügel unter dem Flieder. Kasper behält uns Totengräber vom Balkon her im Auge. Und dort sitzt er später noch lange unbeweglich, den Blick aufs frische Grab gerichtet.

Manchmal sind glückliche und traurige Momente so nah beieinander. Soeben sind wir mit der ganzen Familie noch beim Weihnachtsbrunch gesessen. Nichtsahnend, was im selben Augenblick hundert Meter weit entfernt mit unserer Kleinen geschieht. Und manchmal sind es die kleinen Gesten, die in Wirklichkeit ganz gross sind: Danke, liebe Nachbarin, dass du unser Katzenmädchen so liebevoll unter Blumen gebettet hast. Das hat unseren Seelen so wohlgetan und ganz viel Trost gespendet.


26.12.2019

Darf man denn jetzt gar nicht mehr...

...traurig sein, vor lauter Positivismus? Ist es vielleicht dem Glück abträglich, zu weinen über den Tod einer kleinen Katze?

Ich finde, nein! Im Gegenteil. Es ist traurig, dass unsere kleine, stets gut gelaunte und vergnügte Katze so jung sterben musste. Und natürlich ist es das wert, deswegen zu weinen. Glück und Trauer sind wie Sonne und Mond, wie Tag und Nacht oder Berg und Tal. Ohne das eine wäre das andere nicht möglich und unser Leben so ziemlich öd und flach. Mit zunehmendem Alter habe ich gelernt, dass auf jede Zeit der Trauer unweigerlich irgendwann eine Zeit des Glücks folgt. Sofern ich es möchte. Im Moment möchte ich es gerade noch nicht so sehr. Aber das macht nichts, solange ich nicht beschliesse, nun auf ewig weinend in einer Ecke zu sitzen. Für mich hat es etwas mit Wertschätzung zu tun, jetzt einen Augenblick innezuhalten und traurig zu sein. Wertschätzung gegenüber diesem kleinen quirligen Lebewesen, das sich gerade erst auf den Weg in die Ewigkeit gemacht hat. Es hat uns nämlich durch seinen plötzlichen Tod etwas geschenkt: Das Bewusstsein, dass wir jede Minute unseres Daseins geniessen sollten, weil unsere Behaglichkeit jäh und unerwartet ein Ende haben könnte. So gesehen ist selbst dieses traurige Ereignis ein Glücksgenerator. Und das bringt mich nun trotzdem zum Lächeln.

Danke, kleine Toubab-Katze. Ich verspreche dir, mich genauso meines Lebens zu freuen, wie du es jede Minute getan hast.


27.12.2019

Nein, wütend auf den Autofahrer...

...bin ich kein bisschen. Weil erstens dadurch unsere Toubab-Katze auch nicht wieder zum Leben erweckt würde, und weil ich ja zweitens überhaupt nichts weiss über den Unfallhergang. Drittens habe ich gar keine Lust auf Wut, denn die würde höchstens mich selbst zerfressen und mir zu viel Kraft rauben.Niemand lässt es wohl übrigens einfach kalt, wenn er ein Tier totgefahren hat. Niemand kann danach einfach ungerührt zur Tagesordnung übergehen. So gesehen sind der Autofahrer und ich nun irgendwie im gleichen Boot. Beide liegen wir vielleicht nachts schlaflos; ich aus Kummer, er aus Entsetzen oder Reue. Das tut mir leid. Gleichzeitig bin ich froh, dass ich nicht in seiner Situation bin. Da ist mir meine lieber, auch wenn sie traurig macht. Nein, wütend bin ich wirklich nicht. Darüber bin ich froh. Denn Wut wäre nicht sehr hilfreich, um meine innere Ruhe bald wieder zu finden.


28.12.2019

Aber erstaunt bin ich schon...

...dass ich absolut keine Wut in mir fühle. Denn eigentlich nehme ich mich eher wahr als eine sehr emotionale Person, die oft wirklich leidenschaftlich wütend sein kann. Ich habe immer schon jene Menschen bewundert, welche sich im wilden Strudel des Lebens ganz ruhig und bedächtig verhalten und wohlüberlegt meist das richtige tun. Ich hingegen schiesse ganz oft höchst emotional weit über das Ziel hinaus, wenn mich die Wut überkommt. Wütend machen mich zum Beispiel Ungerechtigkeit, Ignoranz, Heimtücke, Fundamentalismus oder meine eigene Unzulänglichkeit. Mein ganzes Leben lang versuche ich mich nun schon diesbezüglich einigermassen im Zaum zu halten. Den blinden Jähzorn meiner Jugend habe ich zum Glück schon seit längerem überwunden. Meine Wut jedoch verursacht mir auch heute noch viel Arbeit.

Hilfreich fand ich immer dieses Zitat von Gandhi: «Wut ist für den Menschen wie Benzin für ein Auto - sie treibt einen an, damit man weiterkommt, an einen besseren Ort. Wir sollten uns nicht für unsere Wut schämen. Sie ist eine sehr gute und mächtige Sache, die uns motiviert. Aber wofür wir uns schämen müssen, ist die Art, wie wir sie missbrauchen.»

Genau das probiere ich immer wieder: Die Energie der Wut als Motor nutzen, um an ein Ziel zu gelangen. Aber durch die Wut nicht erblinden und ihr möglichst nicht erlauben, zerstörerisch zu wirken. Manchmal gelingt mir das sogar einigermassen, aber manchmal verhalte ich mich trotzdem noch wie ein blutiger Anfänger. Und ab und zu bin ich eben erstaunt. So wie jetzt, weil in mir gerade gar keine Wut existiert und das Leben dadurch extrem viel leichter ist.



30.12.2019

Der Himmel serviert und immer mal wieder...

...kleine Brocken als Training, damit wir dann zu einem späteren Zeitpunkt auch die grösseren Brocken verdauen können. Ich glaube, es ist entscheidend, dass wir uns dessen bewusst sind und diese Trainingsmöglichkeit auch nutzen. Übrigens bin ich mir sicher, dass uns der Himmel grundsätzlich wohlgesonnen ist. Also suche ich bei all diesen kleinen Brocken nach seiner Botschaft. Was möchte er mir vielleicht mitteilen? Worauf möchte er meinen Fokus richten?

Der Tod der kleinen Toubab-Katze gehört zu den kleinen Brocken. Natürlich möchte ich diese Sache am liebsten ungeschehen machen. Aber das ist leider nicht möglich. Um mich nicht zu quälen, muss ich es genau so annehmen, wie es ist. Damit sich die Kleine nicht umsonst auf den Weg in die Ewigkeit gemacht hat, will ich aber wenigstens begreifen, woraus mein Lernfeld besteht. Etwas habe ich ja ziemlich schnell verstanden: Jede schöne Minute meines Lebens soll ich geniessen, auch wenn der Moment gerade total nebensächlich erscheint. Aber was noch?

Vielleicht dies: Das Leben geht weiter. Für die Welt macht es keinen Unterschied, ob und wie lange ich im Kummer versinke. Einen Unterschied macht es aber sehr wohl für mich! Und darauf kommt es an, denn mein Auftrag ist es ja, auf meinem Weg das Beste zu geben. Dazu bin ich nicht fähig, wenn ich zu lange in einem Strudel der Tränen versunken bleibe. Den Tod einer kleinen Katze kann man problemlos verdauen, sich dazu seine Gedanken machen und die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. Ab und zu serviert uns der Himmel dann auch mal einen grossen Brocken. Ich glaube nicht, dass er uns damit das Genick brechen will. Vielleicht möchte er nur prüfen, ob wir unsere Hausaufgaben immer fleissig gemacht haben und ob wir es irgendwann schaffen, wieder aufzustehen um unseren Auftrag weiter zu erfüllen.

Egal, ob es sich nun so verhält oder nicht: Ich sehe für mich keine andere Wahl. Liegenbleiben gilt nicht. Irgendwann muss ich weitergehen. Üben kann ich das bei den kleinen Brocken, damit es dann auch bei den grösseren klappt.


31.12.2019

Zum Jahreswechsel habe ich noch nie...

...in meinem Leben gute Vorsätze gefasst und ich denke, ich werde das wahrscheinlich auch so belassen. Das bedeutet aber nicht, dass ich rundum zufrieden mit mir bin und mich nicht ändern möchte. Es ist mir völlig klar, dass mir die Arbeit diesbezüglich mit Sicherheit nie ausgehen wird. Das ist auch gut so. Schliesslich muss ja zum Glück niemand als perfektes Individuum auf diese Welt kommen und sich anschliessend sein ganzes Leben lang langweilen, weil er nichts mehr zu tun hat.

So werde ich mich also auch im neuen Jahr einfach weiterhin nach allen Kräften bemühen, auf unserer Erde eine positive Spur zu hinterlassen. Mal mit viel Elan, mal mit weniger. Klimaneutral wird es nicht immer möglich sein, auch vegetarisch wird es mir nicht immer gelingen. Ganz ohne Wutausbrüche und Ungeduld werde ich es wahrscheinlich auch 2020 nicht schaffen. Solange ich aber bereit bin, in den meisten Fällen mein Bestes zu geben, und solange ich zuallererst immer vor meiner eigenen Haustür kehre, ist es okay. Ich finde es nämlich weniger wichtig, für das neue Jahr gute Vorsätze zu hegen. Wichtiger ist es, ständig dranzubleiben, egal, welches Datum wir haben.

Das wär's für 2019. Ich wünsche Euch allen ein glückliches neues Jahr voller verheissungsvoller Ziele, grandioser Erfolge und spannender Veränderungen.


2.1.2020

Mit Vollgas durchs Leben brausen...

...macht mir meistens grossen Spass. Ich liebe es, möglichst viele Ziele in meine Tagesplanung zu packen. Es macht mir Freude, wenn ich am Ende alles erreicht habe, was ich mir vorgenommen habe. Die Herausforderung besteht für mich darin, möglichst rationell und ökonomisch vorzugehen und verschiedene Wege mit verschiedenen Tätigkeiten zu kombinieren. Manchmal kann nämlich vieles zugleich gerade in einem Aufwasch erledigt werden.

Jeden Tag Vollgas geben ist für mich ein äusserst positiver Stress. Am Morgen freue ich mich jeweils, wenn ich weiss, dass ich heute wieder mal ganz viel unter einen Hut zu bringen habe. Diesen positiven Stress brauche ich. Er lässt mich spüren, dass ich lebendig bin und voller Energie stecke. Oft warnen mich die Leute, dass es auch einmal zuviel werden könne. Ich solle aufpassen, dass ich nicht eines Tages umkippe. Aber ich glaube, solange ich mich morgens zutiefst auf meinen spannenden Tag freue und mich konsequent an folgende Spielregel halte, ist es ungefährlich: Ich achte nämlich stets darauf, ganz oft diese unzähligen Raststellen anzusteuern, die uns überall am Wegrand angeboten werden. Ich finde sie quer durch meinen Tag verteilt beispielsweise in Form von Wartezeiten an Bahnhöfen, beim Arzt oder in Kassenschlangen. Ich geniesse sie auf einer Fahrt vom Deutschkurs im Zug nach Hause. Wenn dann auch noch der Lautsprecher eine Verspätung ankündigt, unterdrücke ich ziemlich schnell den ersten Impuls des Ärgers, denn für mich ist dies eigentlich keine verlorene Zeit. Nein, genau durch diese Verspätung bekomme ich eigentlich noch mehr Zeit geschenkt. Jetzt bin ich plötzlich gezwungen, mich einem anderen Rhythmus anzupassen, innezuhalten und zu verschnaufen. Es kann durchaus sein, dass sich genau in diesem Augenblick etwas Überraschendes ereignet und ich habe jetzt die Möglichkeit, mir dafür Zeit zu nehmen. Es ist schön, in diesem Augenblick die Welt um mich herum in aller Ruhe zu beobachten; plötzlich bin ich aussen vor. Die Hektik betrifft mich nicht mehr. Ich finde das unglaublich entspannend. Übrigens entstehen die interessantesten Gespräche mit Mitreisenden oft genau dann, wenn man im gleichen Boot sitzt und gemeinsam warten muss, bis die Reise weitergeht.

Eins ist mir sonnenklar: Ich werde ganz bestimmt immer weiter sausen und brausen, solange ich die Energie dazu habe. Und solange ich Spass habe an den unzähligen überraschungsreichen Raststellen am Wegrand.


3.1.2020

Ich will den Dreikönigskuchen bitte einfach...

...erst zu seiner Zeit, und nicht schon vor Weihnachten! Auch den Christbaum möchte ich nicht schon Ende November in meinem Wohnzimmer sehen. Die Erdbeeren gehören für mich in die sonnenwarmen Juni-Gartenbeete und kommen nicht schon im März per Flugfracht angeflogen. Warten auf geliebte Dinge gehört für mich zum schönsten, was man tun kann, denn es generiert Vorfreude. Ist mir aber jederzeit alles überall verfügbar, dann kommt mir mein Leben total flach und emotionslos vor.

Ich erinnere mich an meine Kindheit. Meine Grossmutter brachte mir und meinen vier Cousins immer Ende November je eine grosse Adventskiste. Ich bekam die meine nie zu sehen. Denn sie wurde im Schlafzimmer meiner Eltern versteckt. Ich wusste, dass sie dort steht, aber es wäre mir nie in den Sinn gekommen, danach zu suchen. Mein Herz klopfte zum Zerspringen, wenn ich früher im Jahr nur schon daran dachte. Den ganzen Dezember fand ich dann jeden Morgen ein kleines nummeriertes Päckchen vor meiner Zimmertür. Meine Grossmutter hatte lauter hübsche Kleinigkeiten darin verpackt. Nur das Paket vom 24. Dezember enthielt etwas Grösseres. Den ganzen Dezember verbrachte ich in einer Art seelischem Ausnahmezustand. Die Vorfreude auf jeden Tag und am Ende auf Weihnachten versetzte mich in eine Glücks-Euphorie, die mich beinahe um den Verstand brachte. Ich kann mich nicht erinnern, später jemals ähnlich intensive Vorfreude gefühlt zu haben.

Deswegen möchte ich bis heute alles zu seiner Zeit geniessen und mich davor gehörig darauf freuen können. Die Mandarinen bringt der Nikolaus, also kommen sie bei mir erst ab dem 6. Dezember auf den Tisch. Die Erdbeeren schmecken am besten junisonnenwarm. Seit ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr frühstücke, freue ich mich unglaublich auf mein Mittagessen und mein grimmig knurrender Magen ist sogar ein Teil dieser Freude geworden. Ich trage auch nicht, wie so viele Menschen, ständig eine Wasserflasche mit; gerade die Durststrecke  macht für mich das Wasser so köstlich, als käme es direkt aus dem Paradies. 

Es ist ganz einfach: Mein Rezept für optimalen Genuss liegt im vorherigen Verzicht. Damit schärfe ich alle meine Sinne. Und alles Schöne wird dadurch bunter, intensiver, wärmer, aromatischer und vor allem noch viel wertvoller. Dann bin ich unendlich dankbar für die Tiefe und Fülle des Lebens... das macht mich sehr glücklich.


4.1.2020

Nur weil die Schubladen...

...einer Kommode klemmen und man sie weder öffnen noch hineinschauen kann, heisst das noch lange nicht, dass sie leer ist.

 

Paula ist 86. Sie ist meine Schwiegermutter und dement. Ihr ganzes Leben lang war sie eine äusserst liebenswürdige Frau. Ich habe in den 38 Jahren unserer Bekanntschaft noch nie ein unfreundliches Wort von ihr gehört. Ihre Sichtweise auf die Dinge war stets positiv und ihre schier unerschöpfliche Geduld hat mich ein ums andere Mal in Erstaunen versetzt. Wollte sie ein Ziel erreichen, kombinierte sie ihre Liebenswürdigkeit, Geduld und Zuversicht mit einer gehörigen Portion Beharrlichkeit. So hat sie eigentlich am Ende immer alles erreicht, was sie wollte. 

An ihrem freundlichen Wesen hat sich bis zum heutigen Tag nichts verändert. Bloss ist sie eben heute ziemlich vergesslich. Manchmal ist das traurig, manchmal gnädig, je nachdem welche Situation sie gerade durchlebt. Jeden unserer Besuche vergisst sie zum Beispiel beinahe sofort wieder. Deswegen kann sie später nicht von der Erinnerung daran zehren. Traurig ist das aber eigentlich meistens nur für uns. Sie hat zwar vergessen, dass wir vor kurzem bei ihr gewesen sind, aber ihren unerschütterlichen Optimismus und ihre Zuversicht konnte sie sich bewahren. Das, verbunden mit ihrem starken Fokus aufs Hier und Jetzt, verleiht ihr eine bewundernswerte Seelenruhe. Dies wiederum gibt ihr ein tiefes Vertrauen, dass man sie nicht im Stich lässt. Besuch geniesst sie sehr, obwohl sie sich nicht mehr an komplexen Unterhaltungen beteiligen kann. Immer wenn wir bei ihr sind, sitzt sie lächelnd und mit geschlossenen Augen da und wiederholt ganz oft staunend den selben Satz: "Ach ist das schön, habt ihr heute bei mir einen Besuch gemacht."


Paula mag zwar vergesslich sein und ihr Gefühl für Raum, Zeit und Geschehnisse weitgehend verloren haben. Aber was sie noch besitzt, ist die Fähigkeit, sich glücklich zu fühlen und im Glück zu verweilen, solange der Moment andauert. Ich bin übrigens ganz sicher, dass sie eigentlich überhaupt nichts vergessen hat. Alles ist noch an seinem Platz in ihrem Kopf, nur kann sie gerade nicht darauf zugreifen. Eben: Nur weil die Schubladen einer Kommode klemmen und man sie weder öffnen noch hineinschauen kann, heisst das noch lange nicht, dass sie leer ist. Für uns ist Paula sowieso immer noch dieser liebenswerte Mensch, der sie seit jeher war. Und ob die Schubladen klemmen oder sich zwischendurch mal öffnen lassen, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass Paula da ist und immer noch fähig ist, glücklich zu sein. 


5.1.2020

Und dann sitzt man da...

...und wird auf einmal nicht mehr gebraucht.»

Diesen Satz muss ich nun aber zuerst verdauen. Im ersten Moment möchte ich der alten Dame sogar recht geben. Arbeitstechnisch können diese alten Menschen hier tatsächlich nur wenig Leistung erbringen. Zum Glück erzählt meine Gesprächspartnerin einige Minuten später, dass sie die nachmittäglichen Jassrunden mit den Mitbewohnern sehr geniesst. Und zum Glück traue ich mich, ihr zu antworten, dass sie ja eben genau dafür offenbar sehr gebraucht werde. Auch wenn sie darauf leicht den Kopf schüttelt, konnte meine Antwort hoffentlich ein wenig ihre Stimmung aufhellen, denn immerhin lächelt sie jetzt.

Die Szene lässt mich nicht mehr los. Ich komme ins Grübeln. Was bedeutet eigentlich «nicht mehr gebraucht werden»? In unserer Gesellschaft wird der Mensch sehr oft stark über seine Leistungen definiert. Zu alt zum Arbeiten oder zu müde für Karriere? Solche Menschen tragen nichts zu unserer gesellschaftlichen Entwicklung bei und sind nicht zu gebrauchen. Wirklich? Wozu brauche ich meine Liebsten, meine Freunde, meine Nachbarn? Als beflissene Dienstleister nämlich eher nicht. Sie sind ja nicht bei mir angestellt. Und trotzdem: Ich habe sie allesamt nötig als Gesprächspartner, als Inspiration, als warmherzige und grundehrliche Kritiker oder als Vorbilder. Ich brauche ihre Gegenwart, ihr Interesse, ihre Meinung, ihr Wohlwollen oder ihre Liebe. Ohne sie wäre ich niemand, denn ich bin auf den Austausch mit ihnen angewiesen.

Zurück zu unserer alten Dame, die ich im übrigen wegen ihres wachen Geists und ihrer direkten Art sehr mag. Sie und ihre Familie kenne ich, seit wir vor 28 Jahren in unser Dorf gezogen sind. Stolz erzählt sie jeweils von ihren vielen Enkeln und Urenkeln und von den Bastelarbeiten, die sie immer wieder von den Kleinsten geschenkt bekommt. Und doch empfindet sie, dass ihre Hilfe im herkömmlichen Sinn in der Familie nicht mehr erwünscht ist. Vielleicht möchte man sie auch einfach nicht mehr zu stark belasten. Ich hoffe sehr, dass sie gerade nur ihren Fokus aufs Falsche gerichtet hat. Denn auch wenn sie schon keine Arbeitsleistungen mehr erbringen kann, dann wird doch bestimmt ihre Meinung, ihr Interesse, ihr Wohlwollen oder ihre Liebe benötigt. Ihre Liebsten schätzen bestimmt ihre Gegenwart als Gesprächspartnerin, als Inspiration, als warmherzige und grundehrliche Kritikerin oder als Vorbild.

Etwas ist mir plötzlich klar: Solange wir noch stark genug sind, unterstützen wir unser Umfeld mit unserer physischen Tatkraft. Sind wir nicht mehr dazu fähig, haben wir hoffentlich genügend Weisheit und Lebenswissen in uns angesammelt, um es weiterzugeben. Auch damit leisten wir unseren Beitrag. Aber wir müssen uns heute schon auf diese Zeit vorbereiten und nicht aufhören innerlich immer weiter zu wachsen und zu reifen.


12.1.2020

Ja, will ich denn auch das ganze...

...restliche Paket haben? Diese Frage stelle ich mir jedesmal sofort, wenn ich mal neidisch auf einen meiner Mitmenschen blicke. Und im selben Moment ist es mir dann auch völlig klar, dass ich es aus tiefster Seele nicht möchte, dieses ganze Paket: Ich möchte weder die Familie des anderen, noch seine Freunde. Selbst wenn das vielleicht allesamt ganz nette und sympathische Menschen sind. Ich liebe meine Liebsten und würde sie für nichts in der Welt tauschen wollen. Ich möchte auch nicht seinen Beruf und auch seinen Wohnort nicht, denn auch damit bin ich vollumfänglich zufrieden. Und jetzt ist es nicht mehr schwierig: Ich mag meinem Mitmenschen augenblicklich sein Glück von ganzem Herzen gönnen.

Wenn ich also mal neidisch bin, dann dauert das tatsächlich nur einige Sekunden lang. Das ist auch gut so, denn ich habe schon früh gelernt, dass Neid bloss ein Stachel ist, der sich schmerzhaft ins eigene Fleisch bohrt und irgendwann zu eitern beginnt. Darauf habe ich wirklich keine Lust.


26.1.2020

Das Papier erledigt...

...immer Lukas. Schon seit jeher. Und ich bin ihm seit vielen Jahren jeden Tag wirklich von Herzen dankbar dafür, dass ich an allen wichtigen Stellen in unserem Haushalt für jedes Bedürfnis stets zuverlässig genügend Papier vorfinde; seien es Taschentücher, Servietten oder Haushalt- oder Toilettenpapier. Was nach einem lächerlichen Detail klingt, sorgt trotzdem für Zufriedenheit. Genauso, wie die Tatsache, dass mehrheitlich ich mich darum kümmere, unsere Haushaltsrechnungen zu bezahlen und den dazugehörigen Papierkram ordentlich abhefte. Aus dem Zusammenleben verschiedener Menschen ergeben sich zwangsläufig Routinearbeiten. Schliesslich mag jeder saubere, gebügelte Wäsche, einen vollen Kühlschrank, ein blitzblankes Bad oder ein liebevoll zubereitetes Essen.

Ich finde es unnötig, darüber nachzudenken, ob ich alle diese Arbeiten gerne  tue, denn wirklich Spass machen die meisten davon sowieso nicht. Trotzdem müssen sie erledigt werden. Und trotzdem können sie Freude generieren: Weil ich nämlich meinen Mitmenschen mit meinem Beitrag sehr gern etwas abnehme und weil sich meine Mitmenschen ihrerseits nach allen Kräften darum bemühen, mir etwas abzunehmen. Womit wir wieder bei der 51%-Regel wären. Der Leser erinnert sich vielleicht daran: Wenn in einer Beziehung beide stets bereit sind, zu 51% ihr Bestes zu geben, werden automatisch auch beide immer zu 100% zufrieden sein. Denn mit dieser Haltung hat keiner das Gefühl, vom anderen ausgenützt zu werden.

Die Arbeitsverteilung hat sich übrigens bei uns einfach zufällig so ergeben. Es hat nichts mit Gendergerechtigkeit zutun, sondern einfach mit Liebe und Wertschätzung des anderen. Ich denke, für uns ist das der goldrichtige Weg, denn immerhin gehen wir ihn zusammen schon seit 38 Jahren und sind sehr glücklich damit.


27.1.2020

Ich wünsche mir so sehr...

...ein bisschen mehr Demut. Aber dazu habe ich noch unendlich viel zu lernen. Mit Demut meine ich weder Verschüchterung noch Unterwürfigkeit. Für mich ist Demut etwas anderes: Sie beinhaltet zum Beispiel die Akzeptanz und bedingungslose Annahme von Unabänderlichem, die Dankbarkeit für alles Positive und das Fehlen von jeglichen festen Erwartungen.

In den vergangenen 55 Jahren habe ich diesbezüglich bereits folgendes gelernt:

  • Bei meiner Geburt habe ich zwar mein Leben geschenkt bekommen, aber einen Rechtsanspruch auf alles Weitere habe ich damit nicht erhalten.
  • Indem ich mich selbst zu wichtig nehme, blockiere ich meinen Weg zur Demut. Aber doch muss ich mich selbst mögen, damit ich mich als nützlicher Teil der Gesellschaft bewähren kann.
  • Es ist wichtig, dass es mir gut geht und ich mich wohl fühle, jedoch nicht auf Kosten anderer.
  • Ich brauche meine Träume, Hoffnungen und Ziele und bin verpflichtet, mein Bestes zu geben bei allem, was ich tue.


Mein Vorbild bezüglich Demut ist übrigens meine 87 Jahre alte Schwiegermutter. Sie beherrscht die Kunst der Bescheidenheit, der Dankbarkeit und der positiven Lebenshaltung mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit, obwohl ihre Kräfte mit jedem Tag mehr schwinden und ihr Leben von Tag zu Tag mühseliger wird.

Deswegen glaube ich, dass Demut ein Weg in die Freiheit ist und hin zum absoluten Glück führt. Meine Schwiegermutter ist schon fast dort angekommen, und auch wir werden es schaffen, wenn wir intensiv daran arbeiten.


2.2.2020

Dünnhäutig bin ich schon...

...seit längerem geworden. Schreckensmeldungen aus der Zeitung möchte ich nicht mehr lesen. Auch die Fernsehnachrichten schalte ich nur noch selten ein. Denn nachts lassen mich sonst gewisse Bilder nicht mehr schlafen. Gegen Krieg, Hunger, Klimaveränderung oder ungehobelte Politiker hilft aber meine Schlaflosigkeit auch nichts. Ich habe ja weder die Macht, gewisse Präsidenten bei ihren unglaublichen Kaspereien zu stoppen, noch den Einfluss, Europas Flüchtlingspolitik zu ändern. Auch kann ich nicht das Schmelzen der Gletscher aufhalten und schon gar nicht die kriegerischen Konflikte in der Welt beenden. Darüber möchte ich aber nicht weinen oder mich nachts schlaflos und verzweifelt in meinem Bett wälzen, denn das würde mir meine ganze Energie rauben. Energie benötige ich aber dringend um in meinem direkten Umfeld mein Bestes zu geben.

Meine Möglichkeiten, die Welt zu verändern liegen nicht im Grossen. Tun kann ich aber trotzdem eine ganze Menge. Auch wenn sich zum Beispiel gerade ein bestimmter Politiker damit beschäftigt, ungehobeltes Benehmen salonfähig zu machen, kann ich in meinem Umfeld dazu ganz entschieden Gegensteuer geben und die gute alte Höflichkeit wieder etwas mehr pflegen. Und wenn Flüchtlinge an unseren Grenzen menschenunwürdig behandelt werden? Kein Fundamentalist der Welt kann mich daran hindern, den Menschen in meinem Umfeld, in meinen Deutschkursen und im Café International erst recht mit Anstand und Wertschätzung zu begegnen. Zwar kann ich weder Terror noch Krieg stoppen, aber glücklicherweise habe ich eine laute Stimme, um mich immer und überall dagegen zu äussern und vielleicht andere dadurch zu ermutigen, dabei mitzutun. Und das Klima? Jeder hat die Macht auf seine Weise einen Beitrag zu leisten. Niemand muss sein Leben grundlegend umkrempeln, um die Klimaveränderung zu bremsen. Wenn einfach jeder Mensch seinen Konsum etwas gründlicher überdenken würde und seine Konsequenzen daraus zöge, wäre schon viel geholfen. Warum also nicht einfach damit anfangen, anstatt zu jammern, dass das ohnehin nichts bringt, weil es sowieso schon zu spät ist?

Zwar bin ich dünnhäutig geworden. Aber ich kann gut damit umgehen. Nichts und niemand wird mich aufhalten, mit geballter Energie und lauter Stimme das zu tun, was ich einfach tun muss: Überall Gegensteuer geben, wo es mir möglich ist.


3.2.2020

Die Sache mit dem Zucker...

...ist bei weitem nicht so schlimm, wie viele glauben. Mein halbes Leben lang verzichte ich nun schon auf Zucker, weil er bei mir schwerstes Rheuma und übelste Bauchschmerzen verursacht. Das ist einerseits schade, denn ich liebe Süsses. Also genau genommen bin ich sogar süchtig danach, besonders nach Schokolade. Ich habe schon alles Mögliche probiert: Diabetikerschokolade schmeckt mir nicht, genauso wie Schokolade mit 100% Kakaoanteil. Stevia ist nicht unbedingt meine erste Wahl und von den anderen Zuckerersatzstoffen mag ich den Kokosblütenzucker eigentlich ganz gerne. Aber auch davon bekomme ich höchst schmerzhafte Rheumaschübe. Also lasse ich es einfach bleiben mit dem Zucker. An Schokolade kann man ja auch schnuppern und kann sich gut vorstellen, wie sie schmeckt.

Meine Mitmenschen sind allesamt sehr empathisch. Sie bedauern mich sehr, wenn ich ihnen beim Genuss ihrer süssen Desserts zusehen muss. Das finde ich wirklich sehr nett. Aber manchmal bleibt ihnen auch fast der Bissen im Hals stecken. Und das möchte ich nun wirklich nicht. Im Gegenteil: Sie sollen es doch bitte umsomehr geniessen! Eigentlich verhelfe ich ihnen ja zu noch mehr Freude, weil ich ihnen bewusst mache, dass es nicht selbstverständlich ist, Zucker zu vertragen.

Wenn ich zwischendurch wieder mal diese fast unbezähmbare Lust auf Schokolade verspüre und trotzdem wehmütig darauf verzichten muss, dann tröste ich mich damit: Gemessen an all den schrecklichen Krankheiten und dem Leid, das viele Menschen durchstehen müssen, ist mein Problem eigentlich keines. Ausserdem bietet es mir viele Vorteile. Zum Beispiel lebt man definitiv gesünder ohne Zucker. Ja, die Sache mit dem Zucker ist bei weitem nicht so schlimm, wie viele glauben. Meine Zuckerunverträglichkeit ist eigentlich sogar ein grosses Geschenk des Himmels. Das nehme ich gerne an.


9.2.2020

Es ist diese...

...Anspruchshaltung, die ich wann immer möglich zu vermeiden suche. Dass ich bestimmte Ansprüche an mein Leben stelle, ist ja völlig normal und typisch menschlich. Gefährlich für mich und meine Fähigkeit zum Glücklichsein wird es aber zum Beispiel, wenn ich daraus ein Recht darauf ableite, dass meine Ansprüche immer erfüllt werden müssen. Ich finde nämlich nicht, dass ich auf irgendetwas in meinem Leben einen Rechtsanpruch habe. Ich nehme einfach, was ich bekomme; im Guten wie im Schlechten. Was bleibt mir auch anderes übrig? Manche Dinge kommen schliesslich einfach so, wie sie kommen, ohne dass ich einen Einfluss darauf habe. Und wenn es mir doch möglich ist, etwas zu beeinflussen, dann gebe ich zwar stets mein Bestes, aber ohne Garantieanspruch auf die Erfüllung meiner Wünsche. Wenn dann etwas für mich und meine Liebsten gut herauskommt, dann bin ich einfach nur dankbar. Egal, ob es vielleicht sogar noch besser hätte kommen können. Denn ständig alles noch mehr optimieren und ewig nach immer noch besserem streben - das habe ich irgendwann gelernt - macht nur schlechte Laune: Man schätzt dann nämlich nicht mehr, was man hat, sondern ärgert sich darüber, was man noch nicht hat.

Wenn ich also zwischendurch doch mal meine, ein Recht auf irgendetwas in meinem Leben zu haben, dann denke ich einfach ans Wetter. Denn ein Recht auf Wetter nach meinem Geschmack habe ich nicht. Ich kann zwar Sonnenhut oder Schirm mitnehmen. Ansonsten bleibt mir nur, mich damit zu arrangieren, denn es kommt einfach, wie es kommt. Ob es mir passt oder nicht. Ich kann mich freuen, wenn ich vielleicht im Regen trocken geblieben bin oder einen kühlen Platz im Schatten gefunden habe. Und wenn nicht? Dann dreht sich die Welt trotzdem weiter.


10.2.2020

Nein, ich werde sie nicht färben...

...weil ich ziemlich gespannt bin, wie sie sich in den nächsten Jahren verändern werden, meine Haare. Meine feinen grauen Strähnen gehören genau so zu mir, wie meine Haut, die seit einiger Zeit so aussieht als ob sie ganz leicht zu gross geworden wäre.

Als mir irgendwann aus dem Spiegel eine ältere Frau entgegenblickte und ich die Menschen nicht mehr wie früher einfach mit einem Lächeln ganz mühelos verzaubern konnte, wurde ich schon ein bisschen nachdenklich. Ich hätte vielleicht den Kampf gegen das Alter aufnehmen können, indem ich viel Geld in Pflegeprodukte und alle möglichen Wellnesskuren investiert hätte. Aber ich hätte ihn trotzdem irgendwann verloren. Ausserdem hätte ich mich dabei auch noch lächerlich gemacht. Ich möchte definitiv nicht von hinten für knapp dreissig gehalten werden und dann die Menschen erschrecken, wenn ich mich umdrehe.

Also habe ich beschlossen, auch das anzunehmen. Aus irgendeinem Grund altern wir alle. Vielleicht sollten wir das einfach akzeptieren. Meiner Meinung nach hat alles - und ich meine wirklich alles - im Leben seinen Sinn. Also möchte ich auch versuchen, den Tatsachen in meinem Leben adäquat zu begegnen. Das Leben (oder vielleicht auch der Himmel) stellt mir eine wichtige Aufgabe, die ich zu lösen habe. Abgesehen davon ist der Alterungsprozess nur einer von vielen Aspekten eines Lebens. Wahrscheinlich nicht mal der Wichtigste, weil ich ja meinen Körper am Ende sowieso nicht mitnehmen kann.

Und weil ich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen kann, ist auch jegliche Wehmut nutzlos. So warte ich einfach ab, was mir das Leben noch alles schenkt. Vielleicht habe ich ja Glück und bekomme noch einige Jahre viel Schönes. Ich werde es dem Leben (oder dem Himmel) danken, indem ich mich auch hier so gut ich kann bemühe, mein Bestes zurückzugeben.


11.2.2020

Es begann eigentlich schon...

...bei ihrer Geburt: Das stetige Loslassen unserer Kinder. Ich bin froh, war mir das damals schon sehr bewusst. Vielleicht liegt es daran, dass ich als Kind von meinen Eltern nie vereinnahmt wurde. Sie haben mich immer als eigenständige Person akzeptiert, die ihre eigene Meinung und ihre eigenen Gefühle hat. Sobald ich sprechen konnte, trauten sie mir zu, dass ich selbst weiss, ob ich hungrig bin, schwitze oder friere. Dementsprechend machten sie mir niemals Vorschriften, wieviel oder was ich essen oder anziehen muss. Ob ich mir später die Nächte lesend um die Ohren schlug, war ganz allein meine Sache. Aber auch, wenn ich in der Schule am nächsten Tag müde war. Natürlich waren sie nicht einfach nur bequem. Diese Vorwürfe hörte ich oft. Nein, sie liessen mich ja nicht einfach in der Luft hängen, sondern sie unterstützten mich immer, wenn ich sie um Hilfe bat. Ich denke, diese Art von Erziehung ist sogar alles andere als bequem für sie gewesen. Sie benötigten wahrscheinlich viel mehr Energie dafür, als bei konventionellen Erziehungsmethoden. Es kostete sie Kraft, es auszuhalten, wenn ihr Kind in eine schwierige Richtung läuft. Sie brauchten Energie, wachsam zu beobachten, damit sie im allerschlimmsten Fall (und nur dann!) eingreifen konnten. Sie benötigten Stärke, um auszuhalten, wenn ihr Kind sich den Kopf im Fallen blutig stiess und es vielleicht trotzdem keinen Trost wollte.

Für diese grandiose Leistung bin ich ihnen beiden auch heute noch sehr dankbar. Aber auch dafür, dass sie mir damit ein Vorbild waren in der Erziehung unserer Kinder. Ich hegte stets viele grosse Hoffnungen für alle drei, stellte aber niemals Erwartungen. Wichtig war mir einzig, dass sie auf ihre eigene Weise glücklich werden in ihrem Leben. Auch für mich war es nicht immer einfach, auszuhalten, wenn unsere Kinder in eine schwierige Richtung liefen. Wenn sie sich die Köpfe blutig schlugen und trotzdem keinen Trost wollten oder sich den Trost bei jemand anderem suchten. Es half mir aber, dass ich ihnen zutraute, einen Weg zu finden im Leben. Es war nicht nötig, ihnen Steine aus dem Weg zu räumen, weil ich ihnen vertraute, dass sie ihren Weg meistern werden. Und wenn doch nicht, dann würden sie sich beizeiten nach Hilfe umsehen. Dadurch, dass auch ich ihnen allen dreien schon bei ihrer Geburt eine eigene Persönlichkeit zugestand, hatte ich sie eigentlich von Anfang an schon im richtigen Mass losgelassen. Deswegen fiel es mir später auch leichter, sie gehen zu lassen. Das heisst nicht, dass es mich nicht auch ein bisschen traurig machte, als sie von zu Hause wegzogen. Aber das war verkraftbar, denn wir hatten wunderbare Jahre miteinander verbracht, ich hatte mir viel Zeit für sie nehmen können und hatte das sehr bewusst genossen.

Mein Schwiegervater sagte mir lange bevor unsere Kinder geboren waren: «Man soll seine Kinder gehen lassen, damit sie eines Tages wieder zurückkommen möchten.» Er hat recht gehabt. Ich bin glücklich, dass unsere Kinder schon seit längerem immer wieder zurückkommen.


12.2.2020

Ich strecke mich gern...

...nach oben, aber eigentlich nie bis zur maximalen Höhe. Auch wenn es ohne Anstrengung möglich wäre. Ich liebe nämlich das Gefühl, dass mir zwar noch mehr Potenzial zur Verfügung stünde und ich mir trotzdem die Freiheit nehme, es nicht bis ins Letzte zu nutzen. Diese Luft nach oben verleiht mir Sicherheit und macht mich zufrieden. Ich vergleiche es ein bisschen mit dem Sparschwein aus meiner Kindheit, das ich lange Zeit nicht antastete. Wenn ich aber durch die Spielzeugabteilung streifte, fühlte ich mich grossartig, weil ich wusste, dass ich mir einige Wünsche erfüllen könnte, wenn ich wollte.

So halte ich es deswegen zum Beispiel auch mit materiellen Dingen. Mit Geiz hat es nichts zutun, denn ich ersticke nicht daran: Wenn mir etwas wichtig ist - zum Beispiel gute Bücher - dann gönne ich es mir gern. Aber es macht mir auch Spass, konsumtechnisch bescheiden zu bleiben. Ausserdem gibt es dafür auch ethische Gründe. Ich finde, dass ich - gemessen am Rest der Weltbevölkerung - grosses Glück habe, in unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft zu leben. Ich bewege mich somit materiell sowieso schon in grosser Höhe. Muss ich denn unbedingt noch höher fliegen? Bin ich dann vielleicht noch glücklicher, als ich es ohnehin schon bin? Geht denn glücklicher als glücklich überhaupt? Wohl kaum.

Aber auch bei Immateriellem erspart mir diese Haltung viel Kummer und Ärger. Ich habe die Freiheit, nicht andauernd überall nach dem Optimum streben zu müssen, weil ich mir gar nicht so viele Gedanken darüber zu machen brauche. Wenn ich nämlich zufrieden bin, ist mir das genug. Ich überlege mir dann nicht, ob ich nicht doch nach noch besseren Möglichkeiten suchen muss. Dass ich mich zufrieden fühlen kann, auch wenn ich irgendwo vielleicht nicht das absolute Optimum habe, das ist für mich ein wichtiger Glücksgenerator, denn ich spüre ja die unbändige Kraft in mir, es zu erreichen, wenn ich wollte. Aber ich habe ja bereits mein Bestes gegeben. Mehr ist nicht mehr nötig.


15.2.2020

Der kleine, schneeweisse Stein

...leuchtet im Sonnenlicht auf dem Altar. Die Luft ist schwer und duftet süss. Silbriger Staub tanzt in den Sonnenstrahlen vor dem samtschwarzen Hintergrund. Ich fühle mich noch kleiner als ich bin und es kommt mir einen Moment vor, als sei die Zeit stehengeblieben. Der intensiv spürbare Stolz meiner Grossmutter nimmt mir dann noch den letzten kleinen Rest meiner Zweifel. Nein, ich werde diesen kostbaren Schatz nicht mehr zurücknehmen, Gott soll ihn nur behalten und sich daran freuen.

Mehr als ein halbes Jahrhundert später erfüllt mich diese Szene immer noch mit Freude, auch wenn ich in der Zwischenzeit längst zur Freidenkerin mit grosser Sympathie für den Buddhismus geworden bin. Die vielen Kirchspaziergänge mit meiner Grossmutter sind schon längst vorbei. Mein tiefer kindlicher Glaube aus dieser Zeit auch. Damals war ich mir jedoch ganz sicher, dass Gott mit gütigem Blick von einer Wolke mitten durchs Kirchendach hindurch auf mich herabschaut und sich über mein Geschenk freut.

Geblieben ist meine Faszination für die geheimnisvolle Stille und energiegeladene Ruhe in den Gotteshäusern. Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, dass ich all die Liebe, Ehrfurcht und Demut mit meinem ganzen Körper und meiner ganzen Seele spüren kann, von der die Menschen hier während Jahrhunderten erfüllt waren. Ich habe das in unzähligen Kirchen in verschiedenen Ländern, in winzigen Kapellen in den Bergen und auch in Istanbuls Moscheen erlebt. Und diese Atmosphäre schenkt mir je nach Lebenssituation Kraft, Trost oder einfach tiefes Glück. Ich bin froh, dass es für mich überall auf der Welt solche Orte gibt, an denen ich Ruhe und Geborgenheit finden kann. Und eigentlich hat mir meine Grossmutter den Zugang dazu geschenkt.


16.2.2020

Eines Tages kam der Moment...

...wo ich plötzlich realisierte, dass ich nun mit Sicherheit mehr als die Hälfte meines Wegs auf dieser Welt zurückgelegt habe und der grössere Teil meiner Sanduhr bereits abgelaufen ist. Natürlich flösste mir diese Erkenntnis im ersten Augenblick Angst ein. Schliesslich war ich mein ganzes Leben lang immer davon ausgegangen, dass mir noch unermesslich viel Zeit zur Verfügung steht.

Aber eigentlich, so dachte ich weiter, ist genau das ein gigantischer Irrtum. Woher will ich wissen, zu welchem Zeitpunkt die zweite Hälfte meines Wegs beginnt? Vielleicht hat sie schon viel früher angefangen und ich befinde mich gerade jetzt schon im Endspurt. Oder ich werde so alt wie Methusalem, weswegen die zweite Hälfte meines Wegs noch gar nicht begonnen hat. Und was ist mit all jenen, die schon in jungen Jahren am Ende angekommen sind? Haben die sich jemals darüber Gedanken gemacht? Wahrscheinlich nicht, wenn sie genauso gesund und unbekümmert waren, wie ich in meinen jungen Jahren.

Hat es denn überhaupt einen Sinn, sich vor dem Ende des Wegs zu ängstigen, wo es doch bisher jeder - wirklich jeder, auch der Dümmste! - geschafft hat, ihn bis über das Ende hinaus bis hinein in den Tod zu gehen? Hilft es der Welt und mir wirklich weiter, wenn ich mich fürchte? Ändert es etwas an der Situation? Rinnt meine Sanduhr nun langsamer? Oder sollte ich das sichere Ende meines Wegs nicht besser einfach annehmen, wenn ich es schon nicht verhindern kann?

Ohne zu zögern habe ich mich dafür entschieden, meinen Weg einfach weiter zu gehen. Ängste werden mir meine Stimmung nicht verderben und schon gar nicht die Energie nehmen, jeden weiteren Schritt bewusst zu tun. Aus irgendeinem Grund bin ich jetzt noch hier und aus irgendeinem Grund irgendwann dann nicht mehr. Aber dazwischen nehme ich mir einfach Zeit, um die Welt zu verändern.

Und genau darauf kommt es an.


17.2.2020

Dass übrigens ein Einzelner zu klein ist,...

...um die Welt zu verändern, das habe ich nie geglaubt!

Natürlich ist es unmöglich, dies per sofort und gleich auch noch im Grundsatz zu schaffen. Aber schliesslich kann ich ja auch nicht in einem Sommer einen üppig blühenden Garten mit jahrhundertealten Bäumen anlegen. Mir ist es jedoch immer möglich, Samen zu säen. Wie in der Natur üblich, muss ich dies im Überfluss tun. Nur wenige werden keimen. Und manchmal habe ich nicht mal die Gelegenheit, mein Saatgut zu düngen und zu wässern. Es bleibt mir nur, auf Regen und genügend Nahrung zu vertrauen. Vielleicht werde ich auch niemals sehen, dass etwas keimen oder sogar blühen wird. Doch das ist nicht unbedingt so wichtig. Ich darf einfach nicht damit aufhören, mit Saatgut um mich zu werfen. Ich brauche eine Portion Geduld und muss unerschütterlich daran glauben, dass meine Saat eines Tages Früchte tragen wird. Manches habe ich im Lauf der Zeit tatsächlich schon zum Blühen gebracht. Unzählige Mitmenschen waren diesbezüglich schon lange sehr fleissig. Genau deshalb wird die Welt auch irgendwann all die süssen Früchte ernten.



18.2.2020

Das Schreien, Jammern und Weinen der Bäume...

...habe ich noch ganz genau im Ohr. Als Kind habe ich es wirklich gehört, wenn irgendwo die Holzfäller an der Arbeit waren. Es ging mir durch Mark und Bein und versetzte mich in tiefste Bestürzung. Ich wollte hingehen und diese wehrlosen Riesen beschützen. Ich wollte ihre Tötung sofort verhindern. Und gleichzeitig wusste ich, dass ich für solch eine Aktion viel zu klein und zu schwach war und bei den Waldarbeitern höchstens für Belustigung sorgen würde. So blieb mir nur, mich tief unter meine Decke zu flüchten oder so schnell ich konnte wegzurennen, damit ich es nicht mehr hören musste.

Als Kind hatte ich zwei Bäume; eine gigantische uralte Birke und einen nicht weniger alten, knorrigen Kirschbaum, von dessen süssem Harz ich sehr gerne Unmengen kaute. Wenn es mir nicht gutging, waren ihre Kronen meine Zuflucht. Die beiden Bäume waren meine stummen Zuhörer, und ich war ganz sicher, dass sie den Kummer meiner Seele genau verstanden. Instinktiv hatte ich mir diese beiden ruhigen Orte gesucht. Dort wurde nämlich meine Seele schnell wieder heil und ich fand mein Gleichgewicht wieder. Durch die Bäume habe ich gelernt, dass die Natur der Seele wohl tut und auch an nicht so guten Tagen eine Chance besteht, wieder glücklich zu werden. Immer noch finde ich auch heute meine Ruhe und Gelassenheit inmitten des Waldes oder angelehnt an den Stamm eines Baumes.

Leider bin ich übrigens schon lange nicht mehr fähig sie weinen zu hören. Ich bin mir aber sicher, dass sie es noch tun, nur besitze ich einfach den Sinn dafür nicht mehr. Aber es macht mich immer noch unendlich traurig, wenn ich die Holzfäller bei ihrer Arbeit sehe. Im Wald kann ich zwar immer noch nichts verhindern, aber in unserem Garten sehr wohl: Kein Baum wird hier gefällt. Schliesslich haben sie mich in meiner Kindheit auf ihren Kronen getragen und mich gewiegt um mich zu trösten. Das vergesse ich ihnen nie.

19.2.2020

Seit bald einem Jahr frühstücke ich...

...ich nicht mehr. Intervallfasten wird das genannt und anscheinend liege ich damit total im Trend.

Trend hin oder her: Begonnen habe ich damit, weil ich meine ständigen Bauchschmerzen leid war, die mich seit früher Kindheit fast täglich plagten. Die Diagnosen der Ärzte beruhten vorwiegend auf Nervosität, Stress oder psychischen Problemen. Das half mir nun wirklich nicht weiter; ich fühlte mich nämlich selten gestresst oder nervös. Unter psychischen Problemen leide ich wahrscheinlich auch nicht mehr oder weniger, als jeder andere bauchwehfreie Mensch. Das Weglassen des Zuckers milderte schon viel. Aber richtig schmerzfrei wurde ich trotzdem nicht. Unter dem Motto «Was nichts schadet, das nützt vielleicht.» fing ich also an, mein Frühstück wegzulassen. Schluss mit dem knusprigen Gipfeli auf dem Arbeitsweg oder mit dem richtig ausgiebigen Brunch am Wochenende. Obwohl ich mich am Anfang schwer damit tat - denn eigentlich bin ich ein ausgesprochener Frühstücksmensch - möchte ich es heute nicht mehr missen.

Der wichtigste Grund ist natürlich: Meine Bauchschmerzen sind sehr selten geworden. Ernährungsberater erklären das so: Die Verdauung braucht auch mal Pause zur Regeneration. Ideal, wenn man also etwa 16 Stunden nichts isst. Aber man sollte trotzdem genügend Wasser, Tee (oder auch mal schwarzen Kaffee) trinken. Man kann seine Verdauungspause in die Schlafenszeit einbauen, dabei fastet man ja ohnehin. Für mich heisst das also konkret: Theoretisch faste ich zwischen 20 Uhr abends und 12 Uhr mittags. Praktisch dauert es sogar länger, weil ich meistens nach 19 Uhr nichts mehr essen mag und erst kurz vor 13 Uhr nach der Schule zu Hause bin.

Der zweite Grund ist aber der eigentliche Glücksgenerator: Der kluge Leser ahnt sicher bereits, worauf ich herauswill: Mir nämlich mit knurrendem Magen auf dem Heimweg all die Köstlichkeiten auszumalen, die ich mir zubereiten und schon bald auf meinem Teller haben werde, das ist einfach nur wunderbar. Vorbei sind die Zeiten, wo ich bei der Lektüre eines Buchs und mit Musik im Ohr völlig unachtsam und hastig irgendwelche Lebensmittel herunterschlang. Mein Mittagessen ist jetzt mein Highlight und die fast todsichere Garantie auf die tägliche Dosis Glücksgefühl.

Und was ist denn mit der Geselligkeit? Nie wieder brunchen mit der Familie und mit Freunden? Aber klar doch! Man kann ja schliesslich den Zeitplan am Vortag etwas anpassen. Oder eine Ausnahme machen. Intervallfasten ist ja zum Glück keine gesetzliche Vorschrift.

20.2.2020

Wo ist eigentlich die viele Zeit geblieben....

...die früher mein Leben so unglaublich reich gemacht hat? Ich meine damit die unzähligen Momente eines Tages, die ich ganz unspektakulär aber trotzdem sehr intensiv mit allen meinen Sinnen verbracht habe. Zum Beispiel irgendwo an einer Bushaltestelle wartend und auf das Zwitschern der Vögel in der nahen Hecke lauschend, den Duft von feuchter Erde oder frischem Brot in der Nase, mein Herz, das vielleicht gerade freudig dem Frühling entgegenpochte. Manchmal geriet ich genau deswegen mit jemand anderem ins Gespräch und es entstand daraus eine lustige oder bereichernde kurze Begegnung.

Weder meine Mitmenschen oder das Vogelgezwitscher, noch die feuchte Erde oder das frische Brot sind natürlich von dieser Welt verschwunden. Aber meine Zeit! Wo ist sie nur geblieben? Oder was tue ich eigentlich stattdessen? Muss ich denn jeweils noch auf dem Heimweg von der Schule im Zug mein Unterrichtsprotokoll so schnell wie möglich per Smartphone ins Intranet der Schule übermitteln? Ist der Blick in meinen Posteingang wirklich unbedingt jetzt nötig? Können die Whatsapp-Nachrichten nicht warten? Vom Bahnhof meines Wohnorts gehe ich meistens zu Fuss nach Hause. Dazu brauche ich normalerweise zehn Minuten. Soll ich denn während dieser Zeit wirklich schon die Antworten auf die soeben gelesenen Mails meiner verschiedenen Arbeitgeber überlegen? Kann ich nicht auch später gedanklich planen, was deswegen dringend als Nächstes zu tun ist? Eigentlich möchte ich mich nämlich gern zu Hause an meinen Heimweg erinnern. Ich möchte das Lachen der spielenden Kinder auf der Wiese noch im Ohr und den Duft der Rose am Weg noch in der Nase haben, wenn ich meine Wohnungstür öffne. Denn genau das macht mein Leben reich und mich glücklich.

Also habe ich nun trotzdem einen Vorsatz gefasst. Mein Smartphone ist ein tolles und hilfreiches Instrument. Aber es wird mir meine Zeit nicht mehr stehlen. Deshalb benutze ich es im Normalfall während meiner Freizeit jeweils für zehn Minuten nur zur geraden Stunde. Und auch nur dann, wenn ich den Zeitpunkt nicht um mehr als fünf Minuten verpasse. Sonst warte ich bis zum nächsten Mal, wenn die Stunde gerade ist.

Mein Leben fühlt sich übrigens wieder reich an. Gestern habe ich ein Reh am Waldrand gesehen, das sich vom vorbeibrausenden Zug nicht aus der Ruhe bringen liess, aber mich ganz verzaubert hat. Und die Krokusse blühen auch schon überall. Leider habe ich die ersten verpasst. Aber das macht nichts. Jetzt habe ich die restliche Zeit meines Lebens noch vor mir, um nichts mehr zu verpassen.

21.2.2020

Ob ich schnell eine Zigarette rauchen soll...

...oder nicht, das muss ich mir zum Glück nie überlegen. Auch nicht, ob ich heute mal ein Glas zu viel über den Durst trinken werde, oder ob ich in einem unbemerkten Moment den Kaugummi im Laden einfach mitlaufen lasse ohne zu bezahlen. Das macht mir das Leben an einigen wichtigen Angelpunkten ziemlich einfach. Für mich ist es keine Frage, wie ich mich in gewissen Situationen verhalte, weil ich mich eines Tages für bestimmte Varianten entschieden habe. Und die sind mir dann zur Gewohnheit geworden. Habe ich mir einmal etwas stark verinnerlicht, weiche ich ohne ganz gewichtige Gründe meistens nicht mehr so schnell davon ab. Wie schwierig müssen doch die ständigen Entscheidungen zum Beispiel für all die Gelegenheitsraucher, -trinker oder -diebe sein: Soll ich? Soll ich nicht? Nur heute? Oder vielleicht morgen? Vielleicht wäre es für sie mit einer einmaligen klaren Entscheidung ein bisschen leichter?

Meine Lust für klare Positionen in bestimmten Varianten hat mir noch andernorts gut geholfen: Auch in meinem Leben gibt es ja Dinge, die ich nicht mag, wie zum Beispiel den Wohnungsputz, Wäsche waschen, aber auch dranbleiben bei der Fitness... alle kennen solche Listen! Den Wohnungsputz oder die Wascherei könnte ich zwar auch weglassen, aber dann wäre mir nicht mehr wohl, weil alles klebt und stinkt. Meine Fitness wird immer wichtiger, je älter ich werde. Also ist es nur logisch, dass ich mein tägliches Fitnessprogramm absolvieren werde. Ganz einfach ist das für mich, seit ich mir eben diese unbeliebten Dinge eines Tages zu einer festen Gewohnheit gemacht habe. Die Wohnung wird beispielsweise ausnahmslos freitags ganz gründlich geputzt und die Wäsche jeweils montags und mittwochs gewaschen. Meine Fünf Tibeter turne ich immer morgens im Zeitfenster zwischen Frühstück und Dusche. So brauche ich nie zu überlegen, ob ich nun Lust dazu habe oder nicht, denn jetzt ist gerade der entsprechende Zeitpunkt dafür und basta! Gründe, die dagegen sprechen, gibt es nicht. Ausser ich liege krank im Bett oder ich bin nicht zu Hause.

Ich bin glücklich, habe ich für mich dieses Rezept gefunden, um meinen inneren Schweinehund einigermassen in Schach zu halten. Der Kerl findet natürlich trotzdem immer wieder eine Gelegenheit, sich auszutoben. Aber ohne ihn wäre vermutlich das Leben ein bisschen langweilig.

22.2.2020

Ja, es stimmt, ich habe jüdische...

...Wurzeln. Christlich getauft wurde ich dann kurz nach meinem ersten Geburtstag. Meine Eltern erzählten mir immer wieder gern, dass ich damals den diensthabenden Pfarrer geohrfeigt habe. Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, denke aber, dass er es mir wohl nicht übel nahm. Mit vierzehn Jahren bin ich dann aber aus der reformierten Kirche ausgetreten, weil ich einfach nur frei sein wollte. Später hat man mir gesagt, dass ich für immer jüdisch bleiben würde, da diese Religion jeweils über das Blut von der Mutter auf die Tochter vererbt werde. Das verwirrte mich ein bisschen. Bis dahin hatte ich immer geglaubt, dass sich nur Blutgruppen und Rhesusfaktoren über das Blut weitervererben, und zwar von beiden Elternteilen. Meine Blutgruppe A negativ fand ich voll okay, auch wenn der negative Rhesusfaktor natürlich während meiner Schwangerschaften ein Risiko darstellte.

Dass ich das Jüdische aus demselben Blut offenbar nie loswerde, das gefällt mir bis heute sehr. Vor allem, wenn sich die Menschen mal wieder antisemitisch äussern, dann habe ich meinen Spass, sie ganz fürchterlich in die Falle laufen zu lassen, weil sie bei mir nicht damit rechnen, einer waschechten Jüdin gegenüberzustehen. Wenn ich meine religiöse Identität dann kläre und sie ganz schrecklich ins Stottern geraten, dann hoffe ich natürlich schon, dass ich sie zum Nachdenken gebracht habe. Ich finde, das schulde ich meiner einen Grossmutter, die als russische Jüdin während der Nazizeit in Deutschland unter falscher Religionsangabe in ständiger Angst vor Verhaftung gelebt hatte.

Ich fühlte mich übrigens immer frei genug, mir mutig und lustvoll die süssesten Rosinen aus den verschiedenen Religionen herauszupicken. Weil der Buddhismus den Menschen die grösste Freiheit im Denken zugesteht, interessiert er mich bis heute am meisten. Unsere Kinder haben mir die Symbole der grossen Weltregionen als silberne Anhänger geschenkt, weil ich nicht vorhabe, mich auf eine Religion festzulegen. Ich trage sie an einer Kette um den Hals. In meinen Deutschkursen sorgt das immer wieder für spannende Gespräche. Dadurch habe ich die Gelegenheit, ab und zu ein paar Samen des Friedens zu streuen. Denn an meinem Hals existieren die Religionen schliesslich friedlich nebeneinander, und genau das ist ja meine Vision für die Menschen aus allen Glaubensrichtungen. Es macht mich glücklich, wenn ich sehe, dass die Samen aus diesen Unterhaltungen irgendwann tatsächlich auch keimen. 

25.2.2020

Als Martin Luther King ermordet wurde...

...da war ich etwa drei Jahre alt. Der Bruder meines Vaters lebte zu dieser Zeit mit seiner sechsköpfigen Familie in der Gegend um Chicago. Deswegen waren die Rassenkonflikte in den USA an unserem Familientisch über mehrere Jahre ein allgegenwärtiges Thema. Ich war zu klein, um mich an den Diskussionen zu beteiligen. Das hiess aber nicht, dass ich mir keine Gedanken machte. Mein Problem war ausserdem, dass ich nachts meist nicht schlafen konnte. Das hatte weniger mit den Rassenunruhen in Amerika zutun, sondern nur mit dem überlauten nächtlichen Verkehrslärm auf der Hauptstrasse in unserem Wohnquartier.

Damit ich mich still beschäftigte und meine Eltern in Ruhe weiterschlafen liess, legte mir meine Mutter jeweils einen Lesestapel bereit. Weil sie früher bei der Deutschen Zeitschrift «Stern» gearbeitet hatte, lag auf dem Stapel natürlich immer auch die neuste Nummer dieser Illustrierten. Meine Eltern hatten ihre kleine Firma in der Nachbarswohnung und ich blieb tagsüber mehrheitlich alleine zu Hause. Das störte mich nicht. Meine Eltern waren ja jederzeit erreichbar für mich. Ich war zufrieden so alleine, denn ich hatte sehr viel zutun mit meinen Zeitschriftstapeln. Die brutalen Bilder der Konflikte zwischen Schwarz und Weiss in Amerika liessen mich nicht mehr los. Ich wollte alles ganz genau wissen und brachte mir deshalb innert weniger Wochen selbst das Lesen bei. Trotzdem konnte ich natürlich mit vier Jahren die entsprechenden Zeitungsartikel nicht verstehen.

Irgendwann fragte ich meine Mutter nach den Hintergründen. Ich glaube, sie war ein bisschen erschrocken über meine Frage. Ihre Antwort brannte sich tief in meine Seele: «Es gibt leider Menschen, die glauben, dass einzig die körperlichen Eigenschaften darüber entscheiden, ob man ein guter oder ein schlechter Mensch ist.» Meine ganze Kindheit und Jugend liess mich diese Erklärung meiner Mutter nicht mehr los. Das hat mein Menschenbild sehr geprägt. Ich bin erleichtert, glücklich und meiner Mutter sehr dankbar, dass für mich durch dieses Erlebnis weder rassistisches Gedankengut, Klassendenken noch Prestigegehabe noch nie auch nur für einen klitzekleinen Augenblick in Frage gekommen ist.

28.2.2020

Wenn ich mal unproduktiv bin...

...habe ich kein schlechtes Gewissen. Immerhin stehe ich ja die meiste Zeit ziemlich unter Strom. So kann ich mich wenigstens gegenüber meinen Mitmenschen rechtfertigen. Nur: Brauche ich es denn überhaupt zu begründen, wenn ich mich auch mal mit gar nichts beschäftige? Um genügend Energie zu tanken, muss ich zwischendurch einfach irgendwo sitzen dürfen, ohne zielgerichtet zu denken. Ich liebe es nämlich, einfach zu sitzen um des Sitzens Willen. Es ist wunderbar, nur so vor mich hinzuschauen, in Gerüchen und Tönen zu baden, die Sonne auf meiner Haut zu spüren und dabei mit den Gedanken kreuz und quer umherzuschweifen: Die Seele baumeln lassen eben.

Ich erinnere mich an längst vergangene Kindertage. Wie ich mich endlose Sommerstunden lang zuoberst auf meiner Birke ganz tief ins Nichtstun versenkte. Ich weiss noch genau, wie bärenstark und unerschütterlich ich mich fühlte, als ich dann irgendwann wieder festen Boden betrat. Manchmal mache ich mir schon ein bisschen Sorgen um die Kinder heute, deren Tage von den Erwachsenen mitunter so unterbittlich durchorganisiert werden. Die Zeit soll garantiert genutzt sein, damit das Kind etwas lernt. Es soll schliesslich später schulisch und beruflich weiterkommen, da gilt es keine Zeit zu verschwenden.

Mir ist es schon immer wichtig gewesen, genügend Zeit zu verplempern und ganz im Moment aufzugehen. Vielleicht habe ich dabei schon früher instinktiv trainiert, mich selbst und vielleicht sogar mal etwas Langeweile auszuhalten. Ich habe dabei gelernt, dass genau dies meine unerschöpfliche Quelle für Energie und Kreativität ist. Deshalb wird mich auch weiterhin nichts und niemand davon abhalten können, jeden Tag wieder aufs Neue meine Seele baumeln zu lassen.